Reaktionen auf die 28 Thesen zur Klassengesellschaft

01. September 2009

Gibt man eine politische Zeitschrift heraus, so hofft man auf Reaktionen und Debatten. Obwohl die erste Nummer des Kosmoprolets schnell ausverkauft war, kann man deren Wirkung aber kaum richtig einschätzen. Dass der Herausgeberkreis sich über die "Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft" hinaus auf jetzt ingesamt vier Gruppen erweitert hat, zeigt das Interesse an einer Zusammenarbeit und ist sicher eine wichtige Entwicklung. Erfreulich ist auch ein im internationalen Rahmen beginnender Austausch von Informationen und Texten. Von der griechischen TPTG stammen die entsprechenden Texte über die Revolte in Griechenland in dieser Nummer. Von "Internationalist Perspectives" (http://www.internationalist-perspective.org/) haben wir den Beitrag "Eine Krise des Werts" bekommen, während sie die Artikel über Venezuela (aus der Nummer 1 und aus der aktuellen Ausgabe) in einer englischen und einer französischen Version übernehmen wollen. Des Weiteren und völlig unabhängig von uns haben sich US-amerikanische und französische Genossen daran gemacht, die "28 Thesen zur Klassengesellschaft" zu übersetzen und ins Internet zu stellen (demnächst unter www.kosmoprolet.net zu finden).

Uns interessieren vor allem Reaktionen, die sowohl unsere Aussagen als auch unsere Argumentationen ernst nehmen und mit uns die Perspektive einer revolutionären Umwälzung der Gesellschaft durch den Klassenkampf teilen. Exemplarisch ist in diesem Sinn die ergiebige Kritik von R. Schlosser, zu der wir uns hier auf einige Kernpunkte beschränken.

Dass der Herausgeberkreis sich über die "Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft" hinaus auf jetzt ingesamt vier Gruppen erweitert hat, zeigt das Interesse an einer Zusammenarbeit und ist sicher eine wichtige Entwicklung.

Zu allererst gibt es einige Missverständnisse, die keinen wirklichen Dissens darstellen, sondern teilweise aus unklaren Formulierungen bzw. historischen Kontextualisierungen (z. B. Anfang des 20. Jahrhunderts / heute) oder aus unterschiedlichen "Besorgnissen" herrühren, wenn wir z.B. "die gelbe Gefahr" (Verlagerung der Produktion, globaler Wettbewerb) als eine von den Lohnarbeitern erstmals "real" erlebte Konkurrenz bewerten, wobei Schlosser auf die Gefahr eines politisch formulierten nationalistischen Protektionismus hinweist). Dann weist Schlosser zu Recht auf die krisentheoretische Lücke in den Thesen hin. Aufgrund dessen und des Krisenausbruchs versuchen wir diese Lücke in der aktuellen Ausgabe zu schließen. Ebenso treffsicher berührt er einen wunden Punkt, wenn er unsere Schwäche, die uns durchaus bewusst ist, bei der Bestimmung der praktischen Aufgaben kommunistischer Gruppen bloßlegt. Allerdings halten wir nicht die von ihm vorgeschlagene Lösung, nämlich die Formulierung von strategischen Forderungen als Vermittlungsinstanz zwischen Reform und Revolution, für einen wirklichen Ausweg aus der gewissen Ratlosigkeit, in der wir diesbezüglich stecken.

Der wesentliche Dissens zwischen Schlosser und uns besteht eben in der Bewertung von Forderungen, die an den Staat gerichtet sind, und in der Frage, ob es Aufgabe von Kommunisten sei, Forderungen zu formulieren. Auch wir erwarten nicht, dass Kämpfe von vorneherein kommunistisch sind und halten es für verfehlt, jeden begrenzten Tageskampf gleich durch den Verweis auf seinen Reformismus abzutun. Der Staat ist nun mal der Adressat, wenn man z.B. mehr Sozialkohle haben will; insofern ist auch nicht jedes Wenden an den Staat als konterrevolutionär zu brandmarken. Im Rahmen unserer Möglichkeiten gehen wir auch selbst für begrenzte Forderungen auf die Straße, wenn wir darin ein Potential zur Radikalisierung sehen. Dennoch ist die geistige Loslösung vom Staat eine der Voraussetzungen dafür, dass die gründliche Umkremplung der Gesellschaft als unmittelbare Aufgabe der handelnden Proletarier von ihnen selbst verstanden wird. Schlosser ist kein Staatssozialist, er behauptet nicht, die soziale Emanzipation sei eine Aufgabe des Staates. Aber er sieht in ihm eine potentielle Aufhebung des Marktes und scheint die traditionelle Vorstellung einer Übergangsphase, in der der Staat eine entscheidende Rolle hin zu einem gesamtgesellschaftlichen Eigentum spielen soll, zu teilen. Im Einklang damit steht seine Suche nach Forderungen, die den Übergang vom reformistischen (auf der Ebene der Warenform) zum revolutionären (jenseits vom Markt- und Lohnverhältnis) Bewusstsein bewerkstelligen könnten. Dagegen heben wir die essentielle Verschränkung von Ausbeutung und Staat sowie die soziale Unterwerfung der Proletarier beiderseitig unter der ökonomischen und der politischen Herrschaft hervor. Es gibt keine emanzipatorische Bewegung, die sich nicht mit dem Staat anlegt, und keinen Weg zum Kommunismus, der nicht über seine Abschaffung führt. Deshalb ist die Tatsache, dass bestimmte soziale Bewegungen keine oder kaum explizite Forderungen an den Staat stellen, wie die Revolte in den französischen Banlieus oder der Aufstand in Griechenland, nicht systematisch als ein Manko zu bewerten, sondern kann ein Ausdruck dafür sein, dass die Hoffnung auf den Staat als zwecklos erachtet wird und damit die Frage nach der unmittelbaren Aneignung des gesellschaftlichen Reichtums an Brisanz gewinnen kann.

Es gibt keine emanzipatorische Bewegung, die sich nicht mit dem Staat anlegt, und keinen Weg zum Kommunismus, der nicht über seine Abschaffung führt.

Weiterhin haben wir aber einen klaren Dissens mit Schlosser, was das Formulieren von Forderungen, unter denen sich möglichst viele sammeln können, angeht. Für uns entstehen Forderungen aus den konkreten sozialen Konflikten und den darin wirkenden Akteuren. Das a priori Formulieren von Forderungen seitens einiger auch wohl gesonnener kluger Köpfe erscheint uns sehr problematisch. Denn eines von beidem: entweder sind die ausgedachten Forderungen so gemeint, dass sie tatsächlich unter den herrschenden Verhältnissen durchführbar sind und so verbleibt man auf der Ebene der Reform oder sie sind es nicht, das Wenden an den Mächtigen ist von vornherein zum scheitern verurteilt, und man weiß es, aber man sagt es nicht. Dann entsteht ein unangenehm taktisch-pädagogisches Erziehungsprogramm zwischen den Kommunisten und der Klasse. Wir sehen aber unser Geschäft als ein negatives, also unter anderem darin, innerhalb sozialer Bewegungen die Begrenztheit solcher Forderungen eher zu kritisieren als diese zu formulieren. Mit der "Vorstellbarkeit des Kommunismus" hat dies unserer Meinung nach insofern zu tun, als gerade der Verzicht auf Forderungen und die gleichzeitige Betonung der Selbsttätigkeit und der Selbstverantwortung den Kommunismus für die Kämpfenden erstmals denkbar machen.

Die übrigen Reaktionen in Deutschland waren ganz überwiegend trist. Ernsthafte Auseinandersetzungen, wie sie etwa Karl Rauschenbach und Kristian Majakowksi sowie Patrick Eigen in zwei Beiträgen für die Zeitschrift Phase 2 unternahmen, blieben die Ausnahme. Während ausgerechnet das Neue Deutschland freundlich Notiz von Kosmoprolet nahm, äußerte in der Frankfurter Rundschau ein Biograph des Hugo Chávez sein starkes Missfallen über die Kritik am venezolanischen "Sozialismus des 21. Jahrhunderts", ohne sich zu einer Argumentation bemüßigt zu sehen; der im geistigen Morast der K-Gruppen stecken gebliebene Herausgeber der Online-Zeitschrift Trend witterte unterdessen wie eh und je die Gefahr des Revisionismus, weil wir die "Diktatur des Proletariats" und die Metaphysik des "revolutionären Subjekts" problematisiert hatten ("programmatische Leugnung des Proletariats als historisches Subjekt des revolutionären Prozesses … Ignorierung des Proletariats als historisches Subjekt … Ablehnung der Diktatur des Proletariat nach Eroberung der Staates … Revision der "FreundInnen" an bisheriger kommunistischer Programmatik…"), womit er sich ironischerweise in Gesellschaft einiger Enfants Perdus befand, einer Kinderkrankheit des Communismus, die sich nicht zu blöd war, uns einerseits entgegenzuhalten, dass aufgrund des Nationalsozialismus "die überkommene Vorstellung von der Klasse, ihrer Revolution, usw. in der Tat seit einem halben Jahrhundert hinfällig" geworden sei (wie sollte eine überkommene Vorstellung auch nicht hinfällig sein?), und uns andererseits im Ungeiste des Trend-Herausgebers anzulasten, dass wir eine Revolutionsvorstellung aus dem vorletzten Jahrhundert nicht mehr für das letzte Wort der Kritik halten und daher Zweifel an der Losung von der "Diktatur des Proletariats" angemeldet hatten. Einerseits ist seit dem NS nichts mehr wie es war, andererseits gilt jeder Satz von Marx bis auf Punkt und Komma - vermutlich soll das Dialektik sein. Und während diese pro-situationistischen Halbalphabeten, die Bemerkenswertes von "der gesellschaftlichen Gesamtarbeiterin … in ihrer gesamten ungeheuren Mehrzahl" zu berichten wussten, unsere "Parteinahme für Israel" vermissten, wusste die Zeitschrift analyse & kritik wiederum zu beanstanden, dass wir die Antiglobalisierungsbewegung pauschal als Palästinafreunde denunziert hätten, wo wir doch das exakte Gegenteil geschrieben hatten. Kurzum: Unser Versuch, eine kritische Theorie der Klassengesellschaft zu skizzieren, die von ihrer heutigen Gestalt ausging, konnte nur auf taube Ohren stoßen, wo entweder Erich Honecker geistig Pate stand ("Denn für KommunistInnen sind die Kritik der politischen Ökonomie und ihr dialektischer und historischer Materialismus nicht nur Weltanschauung, sondern vor allem Wissenschaft" - Trend), oder man über Robert Kurz nicht hinausgekommen ist ("Die Arbeiterklasse ist als solche weder ein reales revolutionäres Subjekt, noch ein potentielles", belehrte die Studentenzeitschrift Prodomo, handelt es sich doch bei ihr nur um "eine besondere Gruppe von Kapitalsubjekten"). Das stillschweigende Motto lautete also: Jeder nach seiner Unfähigkeit, jedem nach seinen Projektionsbedürfnissen.

R. Schlosser: Kritische Anmerkungen zu den 28 Thesen zur Klassengesellschaft (http://www.trend.infopartisan.net/trd0408/t020408.html)

Phase 2:
Karl Rauschenbach / Kristian Majakowski: Kommunismus - mehr als eine hohle Phrase (Phase 2, Nr. 25/2007, http://phase2.nadir.org/rechts.php?artikel=490&print)

Patrick Eigen: Nach Masse und Klasse? (Phase 2, Nr. 28/2008 http://phase2.nadir.org/rechts.php?artikel=567&print)

Enfants Perdus: Kritik an den 28 Thesen zur Klassengesellschaft (http://theoriepraxislokal.org/deb/zu28_thesen.php)

Prodomo:
Jan Huiskens: Die vorgestellte Welt - Über falsche Auswege aus der Sackgasse kritischer Theorie. Nr. 7/2007, http://prodomo.50webs.net/7/die_vorgestellte_welt.html)

Neues Deutschland:
Peter Nowak: Klassenlose Klassengesellschaft, Rezension, 17.8.2007 (http://www.trend.infopartisan.net/trd0907/t050907.html)

Analyse & Kritik:
Gerhard Hanloser: Cosmopolitan für Neo-Kommunisten, 520 / September 2007

Redaktion TREND: Kommunistische Debatte - Editorial 3/2008 (http://www.trend.infopartisan.net/trd0308/edit0308.html)

IKS: Kosmoprolet und Aufheben: Klassenkampf und Generationen (http://de.internationalism.org/welt145/2007_aufhebenkosmoprolet)

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