Vorwort
Im Folgenden dokumentieren wir den Text »Proletarische Bewegung und Produktivkraftkritik« von Raasan Samuel Loewe, der erstmals 1995 in der achten Nummer der Zeitschrift Der revolutionäre Funke. Streitschrift gegen Ökonomie, Politik und Dressur – Für schrankenlose Lebensfreude erschienen ist. Loewes Text birgt den Widerspruch von Produktivkraft und Produktionsverhältnissen begrifflich aus der ideologischen Verschüttung der Geschichte (der Arbeiterbewegung) und Gegenwart – Aufhänger ist hier der mittlerweile selber verschütt gegangene »Ökosozialismus« spätlinker Grüner. Dabei rekonstruiert Loewe, wie die verschiedenen ideologischen Auslegungen des Begriffs der Produktivkraft von jeweils genau bestimmbaren Perspektiven auf das Verhältnis von Kapital und Arbeit bedingt sind – und damit letztlich immer auch eine Stellungnahme im Klassenkampf bedeuten. Das Produktionsverhältnis des Kapitals ist schon in seinem bloßen Funktionieren auf eine beständige Revolutionierung der Produktivkräfte angewiesen. Als integraler Bestandteil dieses Verhältnisses sind die Proletarierinnen in den kapitalistischen Fortschritt der Produktivkräfte eingespannt; als potentielle Antagonistinnen des Verhältnisses sind sie gezwungen, ein bewusstes Verhältnis zu diesem Fortschritt zu gewinnen. Loewe bringt in seinem Text die marxsche Entdeckung wieder in Stellung, dass der Fortschritt der Produktivkräfte des Kapitals immer auch jene materiell-technischen Voraussetzungen hervorbringt, die für die Selbstabschaffung des Proletariats genutzt werden können. Um diese dialektische Verstrickung aber überhaupt denken zu können, müssen zuallererst alle gegebenen ideologischen Zurüstungen des Produktivkraftbegriffs abgebaut werden; Loewes Text zeigt, auf welcher theoretischen Grundlage dies zu geschehen hat. Es geht uns also nicht darum, aktuelle Probleme einfach dadurch aufzulösen, dass wir sie über den alten Text eines Genossen auf die noch älteren Texte von Marx verweisen. Stattdessen wollen wir den einmal erreichten Stand einer Debatte dokumentieren – Aufzeichnung von Basisbanalitäten, könnte man sagen –, um von hier aus aktuelle, aber vollkommen geschichts- und theorievergessene (oder schlankweg ideologische Schein-) Debatten der Gegenwart an ihren Ort zu stellen.
Zu den aktuellen Anlässen: Die Grünen, so muss man wohl feststellen, haben gelernt. Selbst nach Fukushima kamen aus dieser Ecke kaum Aufrufe zu einer totalen Umkehr oder Forderungen nach einem Abbau der technologischen Zivilisation überhaupt – Raasan Samuel Loewe mag Mitte der 1990er Jahre im Post-Tschernobyl-Zeitalter da noch ganz andere Töne im Ohr gehabt haben. Die Grünen fordern heute einen neuen, eben ökologischen oder nachhaltigen Technologieschub, der es erlaubt, »unsere Lebensweise« auf gegebener Höhe auch ohne Kernenergie zu erhalten: Statt Verzicht fordern die Grünen Optimierung. Wer dabei »zu uns« gehört, und wer seine Lebensweise ganz grundsätzlich optimieren muss, wird bei den Grünen an anderer Stelle deutlich, etwa wenn die Unterschichten mit Appellen zur Verbesserung ihres katastrophalen Öko-Footprints (Dosenbier! Mallorca-Flug! Regenwald vernichtende Fastfood-Burger!) geschurigelt werden – und diesen Appellen zur Not mit der Androhung von Transferkürzungen Nachdruck verliehen wird.
Die Rolle der Produktivkraftkritiker, die mit ihren Programmen vor allem zurück wollen – je nach Radikalitätsgrad hinter die industrielle oder die neolithische Revolution –, übernehmen heute (Anarcho-) Primitivistinnen, die gesellschaftlich zwar marginalisiert sind, aber in linksradikalen Szenen immer wieder ihre Auftritte haben. Eine gewisse Popularität haben Gedankenfiguren dieser Art auch außerhalb der Erdbefreier- Szene in den letzten Monaten durch das Büchlein Der kommende Aufstand erlangt. Auch in diesem Pamphlet, das an anderer Stelle im Heft ausführlich gewürdigt wird, spukt der Traum einer kleinräumlichen »Entgesellschaftung« (Loewe), die Utopie einer Welt überschaubarer Kommunen, die ohne Arbeitsteilung auskommen, weil alle alles können (müssen). Wie immer »strategisch« die Diagnosen und Programme des Unsichtbaren Komitees auch gemeint sein mögen, einen verdinglichten Begriff von Produktivkraft, eine Identifikation von Produktivkraft mit der konkret gegebenen Technik wird man allemal feststellen können. Man muss dem Unsichtbaren Komitee aber zu Gute halten, dass seine konkreten Vorschläge zur Re-Kommunisierung – bei aller im Einzelnen sicher feststellbaren Abstrusität des propagierten Do it yourself – letztlich immer als Beiträge zu einer Selbstverteidigung der Armen gedacht sind und damit einen (vielleicht verquasten) Bezug zur Klassenfrage herstellen. Dass aber der Widerspruch von Produktivkraftentwicklung und Produktionsverhältnissen der Treibsatz sein könnte, der die Aufhebung des Widerspruchs von Kapital und Arbeit allererst ermöglicht; dass also die Produktivkraft jene Kraft sein könnte, die den auf individualistischer Ebene vom Komitee zur Schau gestellten Ekel vor der Arbeit historisch erst wirksam und gesamtgesellschaftlich verallgemeinerbar werden ließe, diese Reflexion fehlt in dem Pamphlet vollkommen. Die gleiche Reflexion wird von einer anderen französischen Kleingruppe, mit der wir uns in diesem Heft beschäftigen, der Gruppe Théorie Communiste (TC), nicht nur vergessen, sondern sogar systematisch bekämpft. In ihrer Kritik am »akkumulationsapologetischen« (Loewe) »Programmatismus« (TC) der alten Arbeiterbewegung muss TC der Produktivkraftentwicklung, die sie als Begriff wie der Sache nach ganz mit jenem Programmatismus identifiziert, jegliche »historische Mission« absprechen. Die »Kommunisierung“ – als hier und heute zu vollziehender Schritt in den Kommunismus – fällt für sie in Eins mit der Abschaffung der »Produktion« überhaupt. Weiter kann die von Loewe aufgespießte falsche, weil die wesentliche Differenz verwischende Identifizierung von Produktivkraft und gegebenem Produktionsprozess nicht getrieben werden.
Im Hinblick auf Fortgang und Folgen der Produktivkraftentwicklung wird der ungebremste Optimismus der alten Arbeiterbewegung vom »Post-Operaismus« beerbt, ebenso wie die Multitude die Arbeiterklasse beerben soll.1 Dabei synthetisiert der Post-Operaismus den Objektivismus der sozialdemokratischen und der stalinistischen Akkumulationsplaner mit dem Subjektivismus der linken Abweichler. Ins Zentrum ihrer theoretischen Konstruktionen stellen die Postoperaisten den bei Marx einmalig auftauchenden Begriff des General Intellect, und je nach Temperament betonen die verschiedenen Theoretiker dann an diesem Begriff den subjektiven Faktor des lebendigen Wissens oder den objektiven der technisch-kybernetischen Verkörperung des Wissens im Maschinenpark. Beiden Flügeln ist gemeinsam, dass sich der von der alten Sozialdemokratie erst in legendärer Zukunft anvisierte Übergang zum Kommunismus durch ungehinderte Produktivkraftentwicklung für sie unversehens schon heute vollzogen hat. Dass wir trotz allem noch in einer Klassengesellschaft leben – ein Umstand, den wenigstens die italienischen Vertreter des PostOp aus alter Tradition noch in Rechnung stellen, der von ihren deutschen Adepten aber geflissentlich übergangen wird –, das können die Postoperaistinnen mit ihrer Analyse der Produktivkraftentwicklung nicht mehr vermitteln. Für sie gibt es nur noch äußerliche Herrschaft, die sich aus dem verkehrten, verkehrenden Gebrauch der eigentlich guten Technik und der Beschneidung unseres Wissens, unserer Kreativität und Kommunikation (etc.pp.) speist. Für Marx ist der Begriff der Produktivkraft ein Krisenbegriff; er bezieht seinen Sinn nur daraus, einen treibenden und sich krisenhaft zuspitzenden Widerspruch zu benennen, der der kapitalistischen Produktionsweise innewohnt. Wenn der Arbeitsprozess als solcher spiritualisiert wird – und ungeachtet ihrer ansonsten unüberbrückbaren Differenzen sind sich das Unsichtbare Komitee und der PostOp darin einig, dass Mehrwertproduktion hier und heute nur noch (oder doch vor allem) immateriell von statten geht –, dann verliert der Produktivkraftbegriff mit seiner Krisenperspektive jeden Halt in der Sache. Seine Verwendung wird rein beliebig.
In seinem Bemühen, den Begriff der Produktivkraft von den ideologischen Identifizierungen zu befreien, die seine krisenhafte und revolutionäre Potenz versiegeln, überspannt Loewes Text zuweilen den Bogen. Dass die Produktivkraft nicht mit ihren historisch-empirischen Manifestationen in Eins gesetzt werden darf, heißt umgekehrt nicht, dass Produktivkraft historisch wirksam werden könne, ohne irgendwie »handgreiflich Gestalt anzunehmen«. Wie denn sonst? – möchte man fragen. Es muss revolutionärer Theorie doch gerade darum gehen, die handgreifliche Gestalt der Produktivkräfte zu analysieren, um zu verstehen, wie diese die Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit steigern, die Widersprüche der Verwertung zuspitzen und eine materielle Reproduktion der Gesellschaft vorstellbar werden lassen, die nicht mehr wertförmig vermittelt ist. Was die Produktivkräfte außerhalb dieses potentiell revolutionären, in jedem Fall aber krisenhaften Prozesses »rein und an sich« darstellen, muss uns nicht weiter interessieren. Ihre Verdammung oder Vergötterung aber können wir all denen überlassen, deren strukturelle Gemeinsamkeit Raasan Samuel Loewe aufzeigt und deren Gestaltwechsel zu verfolgen bleibt.
Problematisch bleibt der Text in den Passagen, in denen er der Kritischen Theorie, und insbesondere Adorno, umstandslos einen verdinglichten Begriff von Produktivkraft unterstellt. Nicht umsonst ist es denn auch der Rechtsadornit Stefan Breuer, der als Beleg für eine angeblich durchweg rückwärtsgewandt- technikfeindliche Kritische Theorie herangezogen wird. Adornos vermeintliche Ontologie der kapitalistischen Gesellschaftlichkeit hingegen, die an der geraden Linie »von der Steinschleuder zur Megabombe« ausgewiesen wird, verdankt sich einer verfälschenden Zitierung, die Adornos Gedanken in sein Gegenteil verkehrt. Vollständig heißt es mit Verweis auf eine an Heidegger anschließende Kulturkritik: »In selbstgerechter Tiefe wird Partei ergriffen für das Furchtbare, die Idee des Fortschritts gelästert nach dem Schema, was den Menschen misslang, sei ihnen ontologisch verweigert; im Namen ihrer Endlichkeit und Sterblichkeit hätten sie die Pflicht, beides zu ihrer Sache zu machen. Nüchtern wäre der falschen Ehrfurcht zu entgegnen, wohl sei der Fortschritt von der Steinschleuder zur Megatonnenbombe satanisches Gelächter, aber erst im Zeitalter der Bombe ein Zustand zu visieren, in dem Gewalt überhaupt verschwände«.2 Tatsächlich ist die dialektische Pointe dieses Gedankens, dass technologischer Fortschritt, trotz des zerstörerischen Potentials, das er unter kapitalistischen Verhältnissen entfaltet, zugleich auch die Bedingung der Möglichkeit ihrer Aufhebung enthält, der im Text entfalteten Argumentation viel näher, als sein Verfasser es wahrhaben möchte.
Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft
Proletarische Bewegung und Produktivkraftkritik
Es ist allgemein bekannt, dass die Linke das Werk von Marx größtenteils als überholt betrachtet. In diesen Kreisen ist man der Ansicht, dass es ausreicht, darauf zu verweisen, dass Marx seit über hundert Jahren nicht mehr unter den Lebenden weilt, um seine Schriften als nicht mehr zeitgemäß ad acta zu legen. Das gilt in unterschiedlicher Weise für alle Momente der Theorie von Marx. Bruchstücke der Marxschen Kapitalkritik finden jedoch bis zur Unkenntlichkeit verflacht als allgemein bekannte Plattitüden, über die man nicht mehr diskutieren muss, gnädige Aufnahme. Die entscheidenden revolutionären Elemente seiner Theorie dagegen fallen, als indiskutable philosophische Illusionen, als Überbleibsel von liberalem Fortschrittsoptimismus denunziert, erbarmungslos unter den Tisch. Während Marx als Theoretiker der kapitalistischen Entwicklung nach wie vor zumindest eine gewisse Anerkennung findet, auch wenn er einem breiterem Publikum nurmehr vom Hörensagen bekannt ist, wird der Revolutionär Marx in Bausch und Bogen verworfen. Herr Otto Ullrich etwa ehrt den Analytiker Marx, indem er ihn seitenlang schlecht paraphrasiert, und stellt diese selbst produzierte Vogelscheuche gegen den Revolutionär Marx: »Wo Marx aufgrund faktenorientierter Analyse Aussagen macht über die weitere Entwicklung des Kapitalismus als Kapitalismus, waren viele seiner Aussagen erstaunlich zutreffend, wie z.B. die Tendenz, lebendige Arbeit durch tote zu ersetzen oder die Tendenz der steigenden Konzentration des Kapitals. Wo jedoch Marx versuchte, aus der Entwicklung des Kapitalismus und der Industrie Voraussagen abzuleiten für die Emanzipation der Menschen, war er angewiesen auf seine philosophische Abstraktion, und das Ergebnis waren lauter Fehlprognosen: Die These von der vorwärtstreibenden Rolle der Arbeiterklasse, von der bevorstehenden Revolution, von der Sprengung des Kapitalverhältnisses durch die entfalteten Produktivkräfte oder vom Absterben des Staates, das alles waren keine Entwicklungsgesetze, sondern philosophische Hypothesen, abstrahiert von Realzusammenhängen.«3
Als die Fehlprognose par excellence gilt Ullrich in diesem Sinne das zentrale Theorem des historischen Materialismus, die Dialektik von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen. Wenn Marx schreibt: »Die Entwicklung der Produktivkräfte der gesellschaftlichen Arbeit ist die historische Aufgabe und Berechtigung des Kapitals. Eben damit schafft es unbewusst die materiellen Bedingungen einer höheren Produktionsform«4, so ist das für Ullrich ein Konstrukt a priori, das der Empiriker Marx nirgends deckt. In die selbe Kerbe schlägt der Alt-68er Helmut Reichelt: »Gerade diese Passagen provozieren die These, dass es sich bei diesem zentralen Konzept der materialistischen Geschichtsauffassung, dessen Formulierung in einerZeit fällt, in der Marx so gut wie keine Einsicht in die Dynamik der Kapitalbewegung besaß, um notgedrungen methodisch unzulängliche und vorschnell verallgemeinerte Theoreme über Gesetze der ›sozialen Entwicklung des Menschen‹ handelt, deren Korrektur schon damals angezeigt war.«5
Die Dialektik von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen erscheint als bloße Geschichtsmetaphysik, auf die der reife Marx nur gelegentlich zurückkommt, um seine wissenschaftliche Reputation zu verspielen; eine Ansammlung jugendlicher Revolutionseuphorik, von der Marx wahrscheinlich aus psychischen Gründen auch im vorgerückten Alter nicht lassen konnte und der den Gesamteindruck seines Werkes doch schwer beeinträchtigt.
Diese Kritik lebt aus der sozialdemokratisch-leninistischen Rezeptionsgeschichte. Reichelt und Ullrich schieben Marx den vollkommen verkürzten und verdinglichten Produktivkraftbegriff der II. und III. Internationale unter, weil sie selber einen anderen originär kommunistischen nicht denken können, und überführen dann ihre eigene Borniertheit der Absurdität. Reinhold Zech bringt es allen Ernstes fertig zu behaupten, dass Marx »im Kapital die freien Produzenten und die nicht entfremdete Gestalt des Arbeitsprozesses bereits vorfinden«6 lässt und »die von ihm zuvor als bürgerlich charakterisierte Form der Arbeit (...) jetzt von ihm als gesellschaftliche Naturalform betrachtet«7 wird. Im Marxschen Kapital soll laut Zech »der Arbeitsprozess an sich die menschlichen Kräfte entwickeln und alle Verhältnisse kritisieren, in welchen die Menschen von den Dingen kontrolliert werden.«8 Diese kühne Behauptung beruht wesentlich darauf, dass Zech kapitalistischen Arbeitsprozess und Produktivkräfte miteinander verwechselt und damit die Verhunzung des Produktivkraftbegriffs durch die sozialdemokratischleninistischen Akkumulationsfetischisten als genuin marxistisch anerkennt. Hiermit steht Zech in einer Front mit Stefan Breuer. Breuer spricht von »den vorwärtstreibenden Elementen der geistigen und körperlichen Arbeit einerseits, den einengenden und fesselnden Produktivkräften andererseits«9, wo Marx den Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen meint, und kann sich dann natürlich leicht über Marxens »Arbeitsmetaphysik« auslassen. Doch was Zech und Breuer und mit ihnen viele andere zeitgenössische Kritiker Marx in den Mund legen, die Hoffnung nämlich, der kapitalistische Arbeitsprozess und seine weitere Entwicklung würde aus sich heraus den Menschen schließlich befreien, klingt zwar nach Original Bucharin, aber nicht nach Marx. »Bucharin hat den Fehler gemacht, den Marxschen Begriff der Produktivkräfte auf die Technik zu reduzieren und damit die technische Grundlage der Gesellschaft zum bestimmten Ausgangspunkt für die Entwicklung der gesellschaftlichen Ökonomie und des sozialen und politischen Überbaus insgesamt zu machen. Mit dieser Vereinseitigung des Produktivkraftbegriffs wird der Antrieb der gesellschaftlichen Entwicklung aus der Gesellschaft in die Technik verlegt; die gesellschaftlichen Widersprüche sind nur Erzeugnisse der Technik.«10
Die unmittelbarkeitsfetischistische Identifizierung von Produktionsprozess einerseits und Produktivkräften andererseits ist nicht Marxens Werk, sondern die Leistung seiner akkumulationsapologetischen Epigonen. Trotzdem besteht natürlich ein Zusammenhang zwischen dem Marxschen Kapital und seiner verbogenen sozialdemokratischen beziehungsweise leninistischen Rezeption. Sie ist nicht einfach Folge der mangelnden Geistesgaben der marxistischen Jünger, sondern ohne Zweifel materiell begründet. Die Vermittlung zwischen der allgemeinen Dialektik von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen und der Entwicklung der Kapitalbewegung bleibt im Marxschen Hauptwerk bruchstückhaft und gerade der entscheidende Übergang, der die kommunistische Revolution auf die Tagesordnung setzt und notwendig macht, wird nur auf sehr hohem Abstraktionsniveau beschrieben. Das Marxsche Werk muss hier der Unterentwicklung des zeitgenössischen Kapitals Tribut zollen. Es kann den Prozess, der die kapitalistische Produktionsweise über sich hinaustreibt, nur allgemein begrifflich herausarbeiten, weil er sich noch lange nicht handgreiflich vor seinen Augen vollzog. Marx antizipiert begrifflich-logische Fragestellungen, die noch für viele Jahrzehnte nach seinem Tod nicht auf der Tagesordnung standen und seine im Tageskampf verwickelten Nachfolger mussten notwendig die über den erreichten Stand der damaligen Entwicklung hinausgehenden Momente der Marxschen Theorie abbiegen. Da der übermächtigen neokantianischen Strömung Marxens begriffliche Schärfe allemal mehr oder minder als hegelianischer Hokuspokus erschien, verkamen die Schlüsselbegriffe, die die Zerstörung des Kapitalverhältnisses, die Auflösung von Warenproduktion und Wertgesetz fassen, wie Sozialisierung und Verwissenschaftlichung, zu religiösen Leerformeln ohne Trennschärfe. So oft auch in den sozialistischen Sonntagsschriften der Widerspruch von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen wiedergekäut wurde, es war nie mehr gemeint als die allgemein verpackte Klage über die ›Anarchie der kapitalistischen Produktionsweise‹. Die verdinglichte Bewegung der arbeitenden Klasse verkürzte den Grundwiderspruch auf den Gegensatz zwischen geplanter Produktion im Einzelbetrieb und planlosem Markt und kapitalistische Produktionsverhältnisse erschöpften sich ihr in den Wirrungen und Irrungen der Zirkulationssphäre. Der Produktionsbereich erschien ihr dagegen als Sphäre vernünftiger Organisation und Sozialismus würde so zur Verallgemeinerung der einzelbetrieblichen Produktionsrationalität bezogen auf die Gesamtgesellschaft.
Der Unterschied zwischen Produktion und Produktivkraft musste vor diesem Hintergrund verwischen und platte Identifizierung des Produktivkraftbegriffs mit den Produktionsmitteln, mit der Technik, so wie sie in den Fabriken herumsteht, durchzieht die gesamte offizielle Arbeiterbewegung bis heute. So definierte das sowjetische Politische Wörterbuch den Begriff »Produktivkräfte“ folgendermaßen: »Produktionsmittel, mit deren Hilfe die materiellen Güter hervorgebracht werden.«11 Identisch äußerte sich der Sozialdemokrat Cunow: »Produktionsbedingungen sind die zur Fortsetzung eines bestimmten gesellschaftlichen Arbeitsprozesses erforderlichen, natürlichen, technischen und sozialen Voraussetzungen, Produktivkräfte aber die in diesem Prozess zur Anwendung gelangten Natur-, Arbeits- und Maschinenkräfte.“12
Die Hauptströmung marxistischen Denkens, der Technik in ihrer Dinglichkeit und Produktivkraft eins waren, rief selbstverständlich schon in den 1920er Jahren eine Gegentendenz hervor. Deren Kritik beschränkte sich aber lediglich darauf, die Bedeutung der lebendigen Arbeit gegenüber der toten zu betonen. Sie überwand so die herrschende unmittelbarkeits-fetischistische Reduktion nicht, sondern komplementierte sie stattdessen. Karl Korsch, als ein Hauptvertreter dieses kritischen Marxismus, dehnt den Produktivkraftbegriff über den objektiven Niederschlag, den er in der Maschinerie findet, aus. Er will auch den »subjektiven Faktor« bei der Bestimmung von Produktivkraft zu seinem Recht kommen lassen und identifiziert Produktivkräfte mit dem Arbeitsprozess, so wie er ihn kapitalistisch vorfindet: »Produktivkraft ist zunächst weiter nichts als die irdische wirkliche Arbeitskraft lebender Menschen: die Kraft, durch ihre Arbeit unter Benutzung bestimmter materieller Produktionsmittel und in einer dadurch bedingten Art des Zusammenwirkens die materiellen Mittel zur Befriedigung gesellschaftlicher Lebensbedürfnisse herzustellen.«13 Korsch und seine modernen Adepten stellen die menschliche Aktivität als prozesshafte in den Mittelpunkt. Sie bestimmen daher korrekt gegen Bucharin und Genossen die Bedeutung der Technik als solcher: »Die Technik enthüllt nicht nur die ökonomischen Momente; sie enthüllt vielmehr alle Momente gesellschaftlicher Praxis, nämlich die technischen, ökonomischen, sozialen und geistigen Aktivitäten der Menschheit, konstituiert sie aber nicht, sondern ist nur ihr Niederschlag wie fossile Offensichtlichkeit, Beweis oder fließende Form, die enthüllt, was dieses Verhältnis war oder ist. Die Geschichte der Technologie ist die Aufeinanderfolge der im Material zurückgebliebenen Resultate menschlicher Aktivität.«14
Ist das schon der springende Punkt? Produktivkräfte sind nicht identisch mit der tatsächlichen Produktion und dem wirklichen Arbeitsprozess. Sie sind ihrem ganzen Wesen nach menschliche Potenz. Korsch streift diesen Sachverhalt, aber nur um ihn auch um den Preis einer contradictio in adjecto vom Tisch zu wischen. Korsch verknüpft Produktivkraft mit Arbeitskraft, dementiert aber den potentiellen Charakter, der im Begriff Arbeitskraft liegt, sogleich. Er spricht von der »wirklichen Arbeitskraft lebender Menschen« und lässt sie schon im nächsten Halbsatz real produzieren. Die Verwirklichung der Arbeitskraft, ihre reale Betätigung, ist aber schon ihre Entwirklichung. Arbeitskraft ist nur so lange Kraft, so lange sie sich nicht betätigt, soweit sie Potenz bleibt. Mit dem Akt ihrer Betätigung hört sie auf, Kraft zu sein, und wird zum Produkt. Die begriffliche Ungenauigkeit, mit der Korsch hier den Arbeitskraftbegriff handhabt, verdinglicht ganz im traditionellen Sinn auch seinen Produktivkraftbegriff. Auch er kann Produkt und Produktion einerseits und Produktivkraft andererseits nicht scheiden. Die »Entfesselung der Produktivkräfte im Sozialismus« fällt ihm unmittelbar zusammen mit der Ausdehnung der Produktion und beide Begriffe sind ihm nicht weniger synonym als den Stalinisten. »Der Sozialismus wiederholt in veränderter Form und im gigantisch gesteigerten Ausmaße noch einmal die Entfesselung der Produktion, die der Kapitalismus für seine Zeit und in seiner Form, und am Ende mehr schlecht als recht zustande gebracht hat«.15 Er meint, Marx zu paraphrasieren, und stellt ihn doch auf den Kopf. Korsch landet mit der Betonung der wirklichen menschlichen Aktivität genau dort, wo auch seine marxistischtechnischfetischistische Konkurrenz angelangt ist. »Subjektivismus“ und »Objektivismus« vereinigen sich im »Konkretismus« und brechen gemeinsam dem Marxschen Produktivkraftbegriff die kritische Spitze ab. Bei Marx sind Produktivkräfte als solche nirgends greifbar. So wenig der Wert als solcher ans Licht tritt und trotzdem die kapitalistische Produktionsweise reguliert, so wenig ist die Produktivkraft darauf angewiesen, rein und an sich handgreiflich Gestalt anzunehmen, um historisch wirksam zu werden. Produktivkräfte erscheinen immer nur durch den Filter der herrschenden Produktionsverhältnisse hindurch. Materialisieren sie sich in der wirklichen Produktion, so sind sie nicht mehr sie selbst an sich, sondern hoffnungslos mit den Produktionsverhältnissen amalgamiert. Im Produktionsprozess und in seinem Produkt gehen Produktionsverhältnisse und Produktivkräfte eine Synthese ein, aus der niemals eine reine Erscheinungsform der Produktivkräfte herausdestilliert werden könnte. Die Verwertungslogik des Kapitals bestimmt, welche von allen möglichen Techniken und Produktionsabläufen verwirklicht werden, und kein davon unabhängiger Sachzwang. Allein an der Realisierung des Mehrwerts interessiert, gleichgültig gegen die stoffliche Seite, die ihr über den Kopf wächst, muss das Kapital, sobald es beginnt, sich selbst zur Schranke zu werden, die Produktion irrational gestalten. Die Fragwürdigkeit von Produktion und Produkt drückt dann gerade die Spannung von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen aus. Identifizieren wir aber Produktivkräfte platt und traditionell mit der wirklichen Produktion, wird der zentrale Widerspruch des historischen Materialismus zur Denkunmöglichkeit. Die Irrationalität kapitalistischer Produktion erscheint dann als Eigenschaft des erreichten Produktivkraftniveaus überhaupt und die kapitalistische Form wird zur Wesensbestimmung.
Genau dieser Verkehrung sitzt die gesamte produktivkraftkritische Diskussion auf. Sie übernimmt die traditionelle Identifizierung von materieller Produktion und Produktivkraft und überträgt damit die augenscheinliche Irrsinnigkeit weiter Teile der heutigen materiellen Produktion, die aus der völligen Subsumtion der konkreten stofflichen Produktion unter die abstrakte Logik des Tauschwertes entspringt, auf die Produktivkräfte selber. Lassen wir die strenge begriffliche Unterscheidung fallen, verwenden wir den Begriff Produktivkraft unmittelbarkeitsfetischistisch und handgreiflich, so erscheinen die Produktivkräfte ebenso hoffnungslos in die Produktionsverhältnisse eingeebnet wie es der konkrete Arbeitsprozess tatsächlich ist. Eine mögliche Existenz von Produktivkräften jenseits der »Wertabstraktion“ wird ausgelöscht.
Eine Veränderung der Tätigkeit der Menschen, diese wesentliche Bestimmung der kommunistischen Revolution, eine Aufgabe, die gerade die Entwicklung der Produktivkräfte der gesellschaftlichen Arbeit durch das Kapital auf die Tagesordnung setzt, erscheint bei den Produktivkraftkritikern auf hohem Niveau der Produktivkraftentwicklung ausgeschlossen. Jede Relativierung der Arbeitsteilung knüpft sich bei ihnen an den Verzicht auf wichtige gesellschaftliche Produktivkräfte. »Entgesellschaftung“ wird zur Voraussetzung der Relativierung der stumpfsinnigen Teilung der Arbeit, während gerade erst die Aneignung der Produktivkräfte durch die Produzenten, das heißt die bewusste Vergesellschaftung der Produktion, real die Aufhebung der Arbeitsteilung, die Aufhebung der Subsumtion des arbeitenden Menschen unter sein Werkzeug verspricht. Entwickelte Produktivkräfte und die kapitalistische Form, in der sie historisch erzeugt wurden, scheinen im selben Augenblick unauflöslich miteinander zu verschmelzen, in dem real der Widerspruch zwischen beiden sich zum Platzen spannt.
Nehmen wir den Produktivkraftbegriff dinglich, so stellt sich die gesamte Marxsche Theorie auf den Kopf, sobald der Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen ein objektiv revolutionäres Niveau erreicht hat. Dann rückt jede weitere Entwicklung der Produktivkräfte die Befreiung des Menschen in weitere Ferne, dann steigert jede Entwicklung der Produktivkräfte nur die Macht des Kapitals, dann war die proletarische Revolution vielleicht einmal 1917/18 möglich, ist es aber nicht mehr. Genau dieses Theorem ist in weiten Teilen der Linken verbreitet. Seinen Ursprung hat es in der »kritischen Theorie«, besonders in Negative Dialektik von Adorno und Dialektik der Aufklärung von Horkheimer und Adorno. Heute reicht diese Tendenz von den Grünen über Wolfgang Pohrt bis hin zu den Autonomen. Sie gehen davon aus, dass das Proletariat nur solange revolutionär sein kann, solange es noch nicht reell subsumiert ist, solange es sich weitgehend außerhalb des Kapitalverhältnisses reproduziert, solange es sich einigermaßen dem Kapital entziehen kann. Auf die Spitze getrieben finden wir das Theorem in der Unterscheidung zwischen revolutionärem Proletariat und reaktionärer Arbeiterklasse, die etwa die Autonomie Nr. 14 trifft. Für sie ist das Proletariat nur so lange revolutionär, solange es sich in erster Linie über Subsistenzproduktion, also außerhalb des Kapitalverhältnisses, reproduziert. Wird dieses Proletariat unter das Joch der Lohnabhängigkeit gepresst und zur Lohnarbeiterklasse, so verliert es als variabler Bestandteil des Kapitals seinen revolutionären Charakter. Unter Proletariat versteht ein Teil der Autonomen folgerichtig eine Klasse von Nichtlohnarbeiterinnen.
Stefan Breuer schreibt, ganz im Sinne der hier aufgeführten Autoren, im Anhang zu Die Krise der Revolutionstheorie: »dass Marx und Engels ihre revolutionstheoretischen Annahmen vor dem Hintergrund der Erfahrung von Klassenauseinandersetzungen formulierten, die für die entwickelte bürgerliche Gesellschaft eher atypisch sind, ist eine These, die einer genaueren Untersuchung wert wäre. Die Militanz, wie sie die revolutionären Bewegungen in Süd- und Osteuropa, in China, Vietnam und anderen Ländern der ›Dritten Welt‹ auszeichnete und (noch) auszeichnet, lässt vermuten, dass ein wirklich radikaler Widerstand gegen die kapitalistische Ausbeutung nur dort möglich ist, wo das Kapitalverhältnis die lebendige Arbeit noch nicht völlig unterworfen hat. So stellten z.B., wie die gründliche Untersuchung von Frederic Vester 1972 dokumentiert, für die englische Bevölkerung des ausgehenden 18. und des beginnenden 19. Jahrhunderts der Zusammenprall der alten dörflich-handwerklichen Wertmuster von ökonomischer Autonomie und gemeindlicher Solidarität mit den Normen kapitalistischer Rationalität, der Verlust der alten Sicherheit und die Zerstörung der überkommenden sozialen Beziehungen – von der Unterwerfung der Arbeitskraft unter die starre Disziplinierung und Zeiteinteilung der kapitalistischen Industrie gar nicht erst zu reden – eine Kette geradezu traumatischer sozialer Erfahrungen dar, auf die sie mit verzweifelter Abwehr reagierte. Diese Abwehr, die ihre Militanz möglicherweise gerade ihren regressiven, auf Restaurierung der traditionellen Zusammenhänge gerichteten Zielen verdankte, transformierte sich mit der zunehmenden Erfahrung der Erfolglosigkeit des vereinzelten, unorganisiert-spontanen Widerstands in einem kollektiven Lernprozess in eine Bewegung, die innerhalb der bürgerlichen Produktionsweise um ihre Rechte kämpfte; anfangs noch mit erheblicher Radikalität, dann aber bald, nach der Erfahrung der brutalen Reaktion derHelmut Reichelt/Reinhold Zech (Hg.), Karl MarxAutonomie . Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse, Frankfurt/M., Berlin und Wien 1983, 8. Herrschenden, immer disziplinierter, den ›Spielregeln‹ entsprechender. Es scheint, dass dieser Transformationsprozess einer zersplitterten, von chiliastischen und naturrechtlichen Vorstellungen beherrschten Handwerker- und Kleinbauernbewegung zu einer gegen die privatkapitalistische Aneignung des Reichtums opponierenden Arbeiterbewegung Marx‘ und Engels‘ Revolutionsbegriff wesentlich prägte und sie zu der Erwartung veranlasste, dass der ständige Rückkopplungsprozess von Erfahrung, bewusstseinsmäßiger Verarbeitung und Strategiebildung, wie er für die frühe englische Arbeiterbewegung charakteristisch war, auch den revolutionären Prozess im entwickelten Kapitalismus bestimmen würde; eine Annahme, die sich nur zu bald als falsch erweisen sollte.«16
Freilich kommt Breuer zu seinem Sieg über die Marxsche Revolutionstheorie auf einer sehr einfachen Grundlage. Er schneidet zunächst, wie wir gesehen haben, alles am Produktivkraftbegriff ab, was über das faktisch Seiende hinausgeht. Die produktiven Möglichkeiten, die im erreichten Stand der Produktivkräfte stecken, schrumpfen auf das technisch Gegebene, auf die vorhandene Maschinerie und die herrschende kapitalistische Arbeitsorganisation zusammen. Dann wird natürlich der Prozess der reellen Subsumtion der Arbeit unter das Kapital gleichbedeutend mit der fortschreitenden Eliminierung der Differenz zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen, und er kann Adorno zustimmen, »dass das Marxsche Vertrauen in den geschichtlichen Primat der Produktivkräfte allzu optimistisch gewesen sei«.17 Dann steht der Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen nicht am Ende der Geschichte des Kapitals, sondern an ihrem Anfang.
Die Reduktion des Produktivkraftbegriffs auf den kapitalistischen Arbeitsprozess verknüpft allgemein menschliche Emanzipation mit einer verbesserten Stellung des einzelnen Arbeiters innerhalb des kapitalistischen Produktionsprozesses. Aber gerade der Prozess der reellen Subsumtion schließt eine Verstärkung der Position des vereinzelten Arbeiters gegenüber dem Kapital aus. Damit erscheint dann jeder weitere menschliche Fortschritt auf die Abschussliste gesetzt und der große Pessimismus als die einzige realistische Zukunftsvision.
Weil für Marx der konkrete Arbeitsprozess nicht das Agens der Geschichte ist, muss er auch nicht in ihrer Tätigkeit allseits entwickelte Individuen als conditio sine qua non der kommunistischen Umwälzung voraussetzen, sondern kann und muss von der absoluten Vereinseitigung menschlicher Tätigkeit ausgehen und die Veränderung der menschlichen Tätigkeit, die Aufhebung der Vereinseitigung des Menschen im Arbeitsprozess, als einen der menschlichen Inhalte dieser Revolution bestimmen. Die Bedeutung dieser Veränderung menschlicher Tätigkeit, die auf eine völlige Umwälzung der kapitalistisch vorgegebenen Arbeitsorganisation und des Arbeitsprozesses zielt, ist nicht zu überschätzen. Diese radikale Kritik von Marx an der kapitalistischen Organisation der Arbeit scheidet ihn deutlich von seinen akkumulationsfetischistischen Epigonen aus der Zeit der II. und III. Internationale und nimmt den kreativen Inhalt, die reale Problemstellung vorweg, deren bornierter Ausdruck die produktivkraftkritische Diskussion ist. Marx betont, »dass in allen bisherigen Revolutionen die Art der Tätigkeit stets unangetastet blieb und es sich nur um eine andere Distribution dieser Tätigketten, um eine neue Verteilung der Arbeit an andere Personen handelte, während die kommunistische Revolution sich gegen die bisherige Art der Tätigkeit richtet, die Arbeit beseitigt«,18 wie sie vom Kapital erzeugt wurde.
Marx macht gerade die radikale Veränderung des Arbeits- und Produktionsprozesses zum Springpunkt, der die kommunistische von allen vorausgegangenen Revolutionen scheidet. Die traditionelle Arbeiterbewegung musste diese Einsicht gründlich verdrängen, um ihrer bürgerlichen Aufgabe gerecht werden zu können. Die Produktivkraftkritiker betonen demgegenüber zwar die Notwendigkeit der Veränderung der Tätigkeit, aber auf der Grundlage ihres emediatistischen und verdinglichten Produktivkraftbegriffs scheint für sie jede Vermenschlichung des Arbeitsprozesses, jede Beseitigung lebensbedrohender Produktion das Zurückschrauben der Produktivkräfte unter das schon erreichte Niveau zu bedingen. Der produktivkraftkritischen Fortschrittsverzweiflung liegt ein einfacher Zirkelschluss zugrunde, der in dieser Formel auf die »Kritische Theorie« zurückgeht und der von ihren bewussten und unbewussten Epigonen gleichermaßen zäh festgehalten wird. Die Produktivkräfte können sich nur materiell niederschlagen durch den Filter der Produktionsverhältnisse hindurch. Die gesellschaftliche Tendenz realisiert sich nur, indem sie ihre Reinheit als bloße menschliche Fähigkeit aufgibt und sich der Logik der Produktionsverhältnisse unterwirft. Sie gerinnt, wird handgreiflich, aber nicht als solche, sondern nur im gesellschaftlichen, das heißt eben kapitalistischen Ensemble. Dieser kapitalistische Ausdruck, ihre materielle Erscheinungsweise unter kapitalistischen Bedingungen, wird den Produktivkräften dann als solchen eingeimpft und der lebendige Widerspruch wird so aus der objektiven Realität exorziert. Die Vorstellung vom Kapital als seiner eigenen Schranke kann dann nur noch als unsinniges Paradoxon fallengelassen werden.
Auf diese empirische Ebene zurechtgestutzt, kommen die Produktivkräfte als das letztliche Agens der gesellschaftlichen Emanzipation nicht mehr in Frage. Zur Technik versteinert, löst sich ihr Zusammenprall mit den Produktionsverhältnissen in Wohlgefallen auf. Übrig bleibt nur die Maschinerie des technologischen und gesellschaftlichen Apparates als schlecht faktische, in der sich die sich erweitert reproduzierende Herrschaft des Kapitals spiegelt. Verdinglichte Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse schmelzen sich und damit den lebendigen Widerspruch zum monolithischen Block ein und treten, zu feindlichen Dingen geronnen, den Menschen entgegen.
Mit der Verdinglichung des Produktivkraftbegriffs verschwimmt auch der Bedeutungsgehalt des Begriffs Produktionsverhältnis. Er verliert jede historische Trennschärfe und Herrschaft verknüpft sich mit dem, was übrigbleibt, mit dem Produkt als solchem, mit dem Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur überhaupt. Das spezifisch Kapitalistische verwandelt sich in eine bloße Spielart von etwas Allgemeinerem und verliert seinen eigenständigen Charakter. Die Herrschaft des Menschen über den Menschen reduziert sich auf einen Spezialfall der herrschaftlichen Beziehung des Menschen zur Natur. Wenn heute bei allen drängenden realen Einzelproblemen, an denen sich die »neuen sozialen Bewegungen« abarbeiten, ausgerechnet auch der Tierschutz, das Schicksal des erlegten Hasen allen Ernstes einen Kristalisationspunkt mittelständischer Bewegtheit abgeben, wenn jeder harmlose Passant, der öffentlich und mit Wollust seine Wurstschrippe verdrückt, Gefahr läuft, von militanten Veganen totgebissen zu werden, dann findet darin diese Verblendungslogik ihren populären Ausdruck.
Diese Zurückverlegung von Herrschaft in den Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur hat ihren Ursprung, zumindest was das linke Bewusstsein angeht, wie könnte es auch anders sein, in der Frankfurter Schule, genauer bei Adorno. Als der primitive Fortschrittsoptimismus der alten Arbeiterbewegung unter den Schlägen Hitlers und Stalins zusammenbrach, musste Adorno, weil er an ihrem verdinglichten Produktivkraftbegriff kleben blieb, eine gerade Linie »von der Steinschleuder zur Megabombe«19 ziehen. Er musste, wie Stefan Breuer richtig anmerkt, »die Kritik von der Tauschwertsetzenden auf die Gebrauchswertsetzende Arbeit verlagern, die, weil sie auf Aneignung und Formung des Natürlichen beruht, alle jene Gewalt und Unterdrückung in nuce enthalten soll, die auch für die gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen untereinander charakteristisch sind. Die gesamte Praxis der Selbsterhaltung und des auf sie bezogenen Denkens verfällt diesem Verdikt. Produktion und Herrschaft, Macht und Erkenntnis sind der Negativen Dialektik zufolge synonym, und dies nicht erst aufgrund ihrer Verflechtung mit einer bestimmten Form der gesellschaftlichen Synthese, sondern aufgrund ihres innersten Prinzips, der Identität, das ›noch vor aller gesellschaftlichen Kontrolle, vor aller Anpassung an Herrschaftsverhältnisse‹ allein durch seine bloße Form Gewalt ausübt. Mit dieser Konzeption, die die Realabstraktion der Tauschwertproduktion nur noch als Fortsetzung des schon in der Gebrauchswertproduktion wirksamen Gewaltverhältnisses zufassen vermag, nähert Adorno die kritische Theorie der von ihm sonst so energisch befehdeten naturalistischen und irrationalistischen Kultur- und Zivilisationskritik bis zur Ununterscheidbarkeit an.«20 Adorno kippt schließlich vollends ins Ahistorisch-Darwinistische und schreibt, dass der »soziale Zwang tierisch biologisches Erbe« sei; »der ausweglose Bann der Tierwelt reproduziert sich in der brutalen Herrschaft stets noch naturgeschichtlicher Gesellschaft«.21
Adorno verlängert die scheinbare Geschlossenheit und Unaufhebbarkeit der kapitalistischen Gesellschaftlichkeit hier noch in die Vergangenheit hinein und ontologisiert den Alptraum des bürgerlichen Individuums von der Übermacht des Gesellschaftlichen. Er endet dort, wo die »Kritische Theorie« ihre eigentliche Wurzel hat, im kulturkritischen Ekel vor der Durchvergesellschaftung der menschlichen Existenz, die dem bürgerlichen Individuum keinen Ausweg lässt. Er kann nur noch die Ausweglosigkeit, die Übermacht des schlecht Faktischen konstatieren. Gegen dessen totalitäre, alles erfassende Gewalt, die alles und jeden in sich verschlingt, kann sich innerhalb der objektiven Wirklichkeit keine Gegenkraft finden. In der »Kritischen Theorie« hisst das bürgerliche Individuum auf seinem auseinanderfallenden Floß noch einmal sein Fähnchen. Es ist von weißer Farbe. Aber selbst die Eule von Bockenheim hält diese Konstellation nicht aus, die dem kritischen Bewusstsein nur noch den Suizid als Möglichkeit lässt. Ganz gegen die Logik seines gesamten Gedankengangs hofft er schließlich doch noch, dass der Abenddämmerung, durch die er seinen geistigen Flug unternimmt, vielleicht nicht die ewige barbarische Finsternis folgen möge. Der Widerspruch kann aber gegen die in sich stimmige und geschlossene Wirklichkeit nur äußerlich herangetragen werden. Aus dem Nichts entspringt plötzlich transzendierende Subjektivität: »Die Starre, die der Geist widerspiegelt, ist keine natur- und schicksalshafte Macht, der man ergeben sich zu beugen hätte. Sie ist von Menschen gemacht, der Endzustand eines geschichtlichen Prozesses, in dem Menschen Menschen zu Anhängseln der undurchsichtigen Maschinerie machten. Diese Maschinerie durchschauen, wissen, dass der Schein des Unmenschlichen menschliche Verhältnisse verbirgt und dieser Verhältnisse selbstmächtig werden, sind Stufen eines Gegenprozesses der Heilung. Wenn wirklich der gesellschaftliche Grund der Starre als Schein enthüllt ist, dann mag auch die Starre selbst vergehen. Der Geist wird lebendig sein in dem Augenblick, in dem er nicht länger sich bei sich selber verhärtet, sondern der Härte der Welt widersteht«.22
Dieser plötzliche subjektivistische Umschlag folgt derselben Matrix, nach der sich sämtliche zeitgenössische Mittelstandsbewegungen die Grundideologeme zusammenbasteln. Die Adornosche Fassung erinnert zwar sofort fatal an den Aufklärungshabitus, mit dem einst die Ex-MG hausieren ging, die Grundstruktur ist aber bei weitem allgemeiner. Sie bestimmt das zeitgenössische oppositionelle Bewusstsein in seiner ganzen Breite.
Die von grundsätzlichen Widersprüchen frei gedachte Wucht der Tauschwertvergesellschaftung schlägt alles in ihren Bann. Widerstand erscheint nur von einem Bereich aus möglich, der sich dem objektiven Zugriff entzieht. Als Refugium des Widerstands bleibt nur eine unbedingte Subjektivität. Wenn es je eine andere Welt geben soll, so können deren Elemente nicht aus der bestehenden Wirklichkeit freigesetzt werden, sondern sie kann nur gegen die objektive Entwicklung ertrotzt werden. Sand im Getriebe sein, Widerstand leisten, lautet daher die Devise, und völlig befremdlich erscheint das Vertrauen, dass die alte Arbeiterbewegung in die positiven Resultate der objektiven Entwicklung setzte: »Die Aufgabe der Sozialdemokratie ist es nicht, der Entwicklung ihren Weg vorzuschreiben; sie hat nur die Aufgabe, die Hindernisse der Entwicklung zu beseitigen; sie hat die Bahn freizumachen für die Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft, sie hat nicht künstlich diese zu fabrizieren.«23
Diese scheinbar objektivistische Interpretation Kautskys, vor achtzig Jahren noch Credo der Sozialdemokratie, könnte heute überhaupt nicht mehr gedacht werden. Mit dem mechanischen Vertrauen in die objektive Entwicklung schwand auch jedes Bewusstsein der realen Kontinuität innerhalb des Umschlags von der kapitalistischen Krise zum Kommunismus, und die Revolution konnte nur noch als das »ganz Andere« betrachtet werden. Es scheint inzwischen abstrus, die Grundlagen einer neuen Gesellschaft schon im Schoße der alten als deren ureigenstes Produkt zu verorten und den Kommunismus als die positiv gewendete Krise des Kapitalismus zu bestimmen. Hier liegt aber keine neue Bornierung vor, es wiederholt sich nur die traditionelle mit umgekehrten Vorzeichen.
Die klassische proletarische Bewegung vergaß über der Kontinuität der historischen Entwicklung den Bruch, der im Wesen jeder Revolution liegt und der sie zu mehr als zu einer beschleunigten Evolution macht. Die leninistische Tradition führte diesen Bruch zwar ein, aber aufgrund des unterentwickelten Produktivkraftniveaus nur auf der politischen Ebene. Bei den Produktivkraftkritikern, soweit sie überhaupt noch den Weg für eine bessere Zukunft offen stehen sehen, dreht sich dieses Verhältnis um. Sie kennen nur noch den Bruch, ohne jede Kontinuität. Beide Richtungen verhalten sich hier aber nur komplementär auf derselben Grundlage. Stehen heute in den Schriften der Produktivkraftkritiker die Beschreibung der ökologischen und sonstigen realen Krisen unverbunden neben selbstgezimmerten Ökoidyllen, so ging es der alten Arbeiterbewegung im Grunde nicht besser. Auch damals blieben die Formbestimmtheit der kapitalistischen Krise und der Inhalt der proletarischen Revolution unvermittelt nebeneinander stehen. Die farcenhafte Renaissance des utopischen Denkens stellt nur die Unfähigkeit, einen Zusammenhang zwischen alter und neuer Gesellschaft zu bestimmen, selbstbewusst heraus, während die alte Arbeiterbewegung dieses Manko hinter einigen Allgemeinplätzen zu kaschieren suchte. Zwar insistierte Marx darauf, dass die ganze ökonomische Scheiße letztlich in den Klassenkampf mündet, aber die Theoretiker der alten Arbeiterbewegung konnten nie einen ernstzunehmenden Zusammenhang zwischen Krisen- und Revolutionstheorien herausarbeiten. Alle Varianten der traditionellen Verelendungstheorie meinten zwar, darin einen Grund für den proletarischen Aufstand angeben zu können, sie leisteten damit aber keinesfalls einen Beitrag zur Bestimmung des Inhalts der kommunistischen Revolution.
Auch bei Marx selber fallen die Analyse der allgemeinen begriffenen Logik des Kapitals und seine politischen Konzepte auseinander. Dass selbst er die Einheit nur proklamieren, aber nicht wirklich herstellen konnte, verweist darauf, dass hier mehr als bloß subjektives Versagen vorliegt. Der Stand der historischen Entwicklung hatte damals real die Einheit von kommunistischer Revolution und kapitalistischer Krise noch nicht hergestellt, weil das Kapital seine absolute Schranke bei weitem noch nicht erreicht hatte und eine proletarische Revolution nur als politische Revolution, nicht aber als soziale, da und dort auf der Tagesordnung der Geschichte stand. Erst heute fällt diese wirkliche Kluft und die Einheit von Krisen- und Revolutionstheorie wird möglich. Die Krise der Tauschwertvergesellschaftung selber als absoluter Schranke des Kapitalverhältnisses, die sich heute abzuzeichnen beginnt, drückt negativ aus, was auch die allgemeinste Bestimmung der sozialen Revolution und des Kommunismus sein muss:
Aufhebung der Tauschwertvergesellschaftung, Beseitigung der Warenform, und stattdessen direkte Vergesellschaftung. Kurz: ALLES FÜR ALLE SOFORT UND UMSONST!
Aber gerade weil diese Vermittlung möglich geworden ist und die volle Entfaltung der Tauschwertabstraktion die einst real disparaten Elemente zur Einheit bringt, muss das Absehen der Produktivkraftkritiker von der Tauschwertabstraktion bei ihnen oder für sie die Kluft und Zusammenhangslosigkeit zwischen der gegenwärtigen Gesellschaft und der angestrebten Veränderung ins Groteske steigern. Die Utopie kehrt wieder, aber nicht wie zu Beginn des 19. Jahrhunderts antizipierend, als nur traumtänzerisch mögliche Überwindung des Kapitalismus, dem noch kaum seine Lauflernschuhe passten, sondern vollkommen regressiv-reaktionär. Die historische Entwicklung wird nicht leichtfüßig im phantasiereichen Kopf vorweggenommen, sie wird zugekleistert und die Wirklichkeit wird nur verleugnet. Der utopische Sozialismus kommt nicht zu neuen Ehren, sondern sein Andenken wird erbarmungslos geschändet. Statt wie sie die Umwälzung der bestehenden Gesellschaft, die Aufhebung all ihrer Verkehrungen zu intendieren, propagiert die produktivkraftkritische reaktionäre Linke Abkehr und Umkehr. Sie macht sich nicht auf zur Aneignung der Welt, denn Aneignung kennt sie nur als verwerflichen Gewaltakt, sondern sie predigt die kollektive Rückkehr in die Innerlichkeit. Der eigene Nabel wird zur Fluchtburg und die Bewegung zum Kollektivnabel, der sich von Zeit zu Zeit der bösen Welt entgegenstellt, wenn sie die objektive Entwicklung wieder einmal allzu schmerzhaft den zufälligen Individuen auf die Zehen stellt.
Akkumulation des Kapitals und alte proletarische Bewegung
Die alte proletarische Bewegung (verkörpert durch Sozialdemokratie, Leninismus und Anarcho-Syndikalismus) konnte einen verdinglichten Produktivkraftbegriff noch positiv besetzen und tat es. Schon der Frankfurter Schule war dies unmöglich, und heute liegt die Irrationalität kapitalistischer Produktion zu deutlich auf der Hand, als dass der überlieferte verkürzte Produktivkraftbegriff noch ideologisch mit denselben Vorzeichen versehen werden könnte. Was einst positiv klang, nach Zukunftsmusik, wird heute zum Alptraum. Gerne projizieren die modernen Produktivkraftkritiker den Horror vor dem modernen Produktionsprozess in die kapitalistische Vergangenheit und machen der alten Arbeiterbewegung ihr Eintreten für die Produktivkraftentwicklung zum Vorwurf. Sie tun ihr damit allerdings gründlich unrecht. Denn solange der Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen nur partiell aufscheint, etwa in den zyklischen Krisen, muss der konkrete Arbeitsprozess und mit ihm die stoffliche Produktion überhaupt als weitgehend rationaler und adäquater Ausdruck der vorhandenen menschlichen Potenzen erscheinen. Irrational ist dann lediglich die zeitweilige Nichtproduktion im Gefolge von Überproduktionskrisen, aber nicht die materielle Produktion und das Produkt selber. Solange die Springquellen des gesellschaftlichen Reichtums nicht im Übermaß fließen und allgemeine Notdurft herrscht, ist die Ausdehnung der Stufenleiter der Produktion, auch wenn sie in antagonistischen Formen verläuft und damit über weite Strecken mit ungeheurer Brutalität und menschlichem Leid verknüpft ist, durchaus vorwärtstreibend. In seiner Würdigung Ricardos erkannte Marx diesen Sachverhalt an. Erst die Entwicklung der Produktivkräfte, mit welchen Tragödien auch immer verbunden, und die damit einhergehende radikale Beschränkung der notwendigen Arbeitszeit machen die kommunistische Revolution möglich. Ohne die Entfaltung der Produktivkräfte bleibt der wahre Reichtum der Gesellschaft, die disponible Zeit, ein Luxusprodukt für wenige und die breite Mehrheit der Gesellschaft kann nur subsumiert unter die Notwendigkeiten der materiellen Produktion vor sich hin vegetieren. Menschliche Emanzipation bleibt ein frommer Wunsch, wenn die große Mehrheit gar nicht die Zeit hat, sich den allgemeinen Angelegenheiten zu widmen und ihre Individualität als universale zu entwickeln, sondern den größten Teil ihrer Energie in der bloßen materiellen Produktion verausgaben muss.
Sind die Produktionsverhältnisse und die Produktivkräfte miteinander noch weitgehend kongruent, ist ihr Widerspruch noch unentwickelt, so ist die streng begriffliche Unterscheidung zwischen Produktivkräften und dem konkreten Arbeitsprozess nur von theoretischem Interesse. Nur die rein begriffene Logik muss sie auseinanderhalten, während praktisch die Identifizierung noch keine weiterreichenden Folgen zeitigt. Die alte proletarische Bewegung, zumal ihr revolutionärer Flügel, durfte nicht den Übergang zur Massenproduktion bekämpfen, um traditionell handwerkelnden Arbeiterformationen ein Überleben zu ermöglichen, auch wenn für diese einzelnen Arbeiter der Arbeitsprozess unter traditionellen Bedingungen angenehmer gewesen sein mag. Rosa Luxemburg hatte völlig recht, wenn sie sich gegen gewerkschaftliche Eingriffe in die Produktion zugunsten zünftlerischer Handwerkerarbeiter wandte und schrieb: »Unter Regulierung der Produktion kann man aber nur zweierlei verstehen: Die Einmischung in die technische Seite des Produktionsprozesses und zweitens die Bestimmung des Umfangs der Produktion selber. Welcher Natur kann in diesen beiden Fragen die Einwirkung der Gewerkschaft sein? (...) Es ist klar, dass, was die Technik der Produktion betrifft, das Interesse des einzelnen Kapitalisten mit dem Fortschritt und der Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft vollkommen zusammenfällt (...) Es ist die eigne Not, die ihn zu technischen Verbesserungen anspornt. Jede technische Umwälzung widerstreitet den Interessen der direkt davon berührten Arbeiter und verschlechtert ihre unmittelbare Lage, indem sie die Arbeitskraft entwertet, die Arbeit intensiver, eintöniger, qualvoller macht. Insofern sich die Gewerkschaft in die technische Seite der Produktion einmischen kann, kann sie offenbar nur im letzteren Sinn, das heißt im Sinne der direkt interessierten einzelnen Arbeitergruppen handeln, das heißt sich Neuerungen widersetzen. In diesem Falle handelt sie aber nicht im Interesse der Arbeiterklasse im ganzen und ihrer Emanzipation, das vielmehr mit dem technischen Fortschritt (...) übereinstimmt, sondern gerade entgegengesetzt, im Sinne der Reaktion«.24
Die alte Arbeiterbewegung konnte und musste die konkrete Ausgestaltung des Produktionsprozesses dem Kapital überlassen. Trampert und Ebermann demonstrieren die ganze Erbärmlichkeit des Ökosozialismus, wenn sie Rosa in ihrem Buch Die Zukunft der Grünen wegen dieser Position scharf angreifen, sich stattdessen auf den Standpunkt des einzelnen traditionellen Arbeiters stellen und die traditionellen Abwehrkämpfe etwa des Solinger Schleifervereins vor dem Ersten Weltkrieg, der verzweifelt den noch verbliebenen Privatbesitz an den Schleifsteinen und das zünftlerische Wissensmonopol erhalten wollte, als vorbildlich glorifizieren. Sie enthüllen, wohin der Zug des Ökosozialismus fährt. Sie empfinden die Aufgabe, entwickelte Produktivkräfte gesellschaftlich anzueignen, als Zumutung und grollen der alten Arbeiterbewegung, dass sie es hat soweit kommen lassen. Sie wünschen den wirklichen Springpunkt unserer Epoche aus der Welt und träumen von Entgesellschaftung, kleinen überschaubaren Einheiten, zurechtgeschnitten auf den Horizont des bürgerlichen Individuums, und wehren sich gegen alles, was den Zugriff des vereinzelten Produzenten auf »sein« Produkt untergräbt. In ihrer Utopie soll die Produktivkraftentwicklung so weit zurückgeschraubt werden, dass sie nicht mehr mit der kleinen Warenproduktion kollidiert. Sie kritisieren das Kapitalverhältnis nicht vom Standpunkt der inzwischen möglichen Aneignung der gesellschaftlichen Produktivkräfte durch die Gesellschaft selber, sondern von rückwärts her, allein deshalb, weil es die alte Gemütlichkeit in der Ausbeutung zerstört hat. Sie wiederholen damit nur, was Marx und Engels schon im Manifest als reaktionären Sozialismus kritisiert haben, und ähnlich wie ihre Vorgänger vor 150 Jahren stellen sie ein irreal-liebliches Bild des vorkapitalistischen Alltags der schlechten kapitalistischen Gegenwart gegenüber. Die Arbeiten Thompsons müssen dabei als Beleg für die Idylle vorbürgerlicher Zustände herhalten, suggestiv und in brutaler Interessiertheit am Stoff zitieren sie aus Plebeische Kultur und moralische Ökonomie: »Zinngießer aus Cornwall gingen zugleich der Pilchardfischerei nach, Bleibergleute im Norden bestellten einen kleinen Acker, Dorfhandwerker waren sowohl als Maurer als auch als Fuhrleute oder Schreiner tätig, Heimarbeiter verließen zur Ernte ihre Arbeit«.25
Sie meinen dabei, in der Vergangenheit universell entwickelte Menschen entdeckt zu haben, und bemerken gar nicht, dass die Vereinigung von zwei oder drei bornierten Tätigkeiten in einer Person sehr wenig mit der Entwicklung der eigenen Individualität zu tun hat. Ansonsten müsste die Fabrikarbeiterin, die im eigenen Schrebergarten Möhren zieht, um sie an die eigenen Karnickel zu verfüttern, ein besonders glücklicher Mensch sein und jeder arme Schlucker, der sich mit zwei bis drei verschiedenen 500-Mark-Jobs mühsam über Wasser hält, wäre ein vollkommen entwickeltes Individuum. Aber Zweifel dieser Art fechten den Ökosozialismus nicht an. Er erblickt überall in der Vergangenheit erfüllte Existenzen, die erst durch die reelle Subsumtion der Arbeit unter das Kapital vernichtet wurden. Vom vorweihnachtlichen Konsum angeekelt, betrachtet der Ökosozialismus mit Milde das materielle Elend bei einem 16-stündigen selbstbestimmten Arbeitstag und wünscht sich nichts sehnlicher als die Rückkehr dieser Zeiten in Gestalt von alternativen Projekten.
Geängstigt von der Größe der anstehenden historischen Aufgabe, geben die Ökosozialistinnen jeder bornierten, gemütlichen Knechtschaft den Vorzug. Die, um mit Engels zu sprechen, »viehische« vorkapitalistische Existenzform ist diesen Vertretern des herrschenden selbstbescheidenen Zeitgeistes tausendmal sympathischer als die Perspektive einer universalen Auseinandersetzung mit den Folgen der Wertvergesellschaftung, die nichts unverändert lassen wird. Die objektiven Verhältnisse rufen jenes bekannte »Hic Rhodos, hic salta!« und unsere linksökologischen Vorturner gehen einen Schritt zurück. Aber nicht um Anlauf zu nehmen, sondern um die Füße unter den Arm zu klemmen und der gestellten Frage schleunigst die Hacken zu zeigen. Die Flucht endet, wie könnte es anders sein, beim Urbild deutscher Gemütlichkeit, in der Mühle am rauschenden Bach. Trampert und Ebermann führen ausgerechnet den Mühlenbauer, einen vielseitigen Spezialisten, und als solcher eine Rarität, als den Prototyp des vorkapitalistischen Produzenten vor und zitieren auf tränenfeuchtem Papier Friedrich Klemm, der da schreibt: »Der Mühlenbauer vergangener Tage war bis zu einem gewissen Grade der alleinige Vertreter der Maschinenbaukunst; er wurde als Autorität in allen Fragen der Anwendung von Wind und Wasser betrachtet, wie auch immer diese Kräfte als Antrieb in den Werkstätten gebraucht werden mochten. Er war der Ingenieur des Gebiets, in dem er wohnte; er war eine Art Hansdampf in allen Gassen. Mit der selben Fertigkeit vermochte er an der Drehbank, am Amboss oder an der Hobelbank zu arbeiten (...) So wurde er zu einem erfinderischen und ausgelassenen umherschweifenden Gesellen, der überall Handanlegen konnte.«26
In ihrer Begeisterung für die »selbstbestimmte« Arbeit des Mühlenbauers vergessen Trampert und Ebermann natürlich augenblicklich wesentliche Linien des vorkapitalistischen Klassenkampfes, wie sie von ihrem Lieblingsautor und Kronzeugen Thompson skizziert werden. Sie erwähnen mit keinem Wort, dass für die Masse der Landbevölkerung die Mühle das klassische Symbol von Teuerung, Ausbeutung und »liederlichem Lebenswandel« war, und die Liebe und Bewunderung für Mühlen, Müller, Mühlenbauer etc. sich in Zeiten von Getreidenot ab und an in Brandstiftung entlud. Die neulinke Denkfaulheit schlägt hier wieder einmal in Feigheit um und flieht in die Vergangenheit. Die historische Entwicklung wird darauf genauso viel Rücksicht nehmen wie auf ähnliche Bewegungen bisher, nämlich gar keine, und jene Fragestellung, vor der sich die Produktivkraftkritiker so fürchten, erneut herausarbeiten. Nichts machen die Produktivkraftkritiker dem Kapital so verbittert zum Vorwurf wie seine transitorische Leistung. Als Apologeten der kleinen Warenproduktion bekämpfen sie das Kapitalverhältnis nur insofern, wie es die Existenz von Warenproduktion gefährdet und an die Schwelle einer neuen Gesellschaft heranführt. Genau in diesem Sinne verfällt auch die alte Arbeiterbewegung ihrem Verdikt. Sie kritisieren nicht deren Beschränktheit, sondern gerade deren wirkliche historische Leistung. Aller produktivkraftkritischen Larmoyanz zum Trotz, die alte Arbeiterbewegung hat gerade dadurch, dass sie sich zum Motor der Produktivkraftentwicklung machte, ihren einzig möglichen Beruf erfüllt und ist mit dem Abschluss dieser Aufgabe gestorben. Bei all ihrer theoretischen Borniertheit, so abgeschmackt uns heute das proletarische Arbeitsethos in den Ohren klingen mag, so fatal sich ihr verdinglichter Produktivkraftbegriff heute auswirkt, die als Propagierung der Rechte der unmittelbaren Produzenten kaschierte Apologetik der Verallgemeinerung der Verwertung des Werts hatte doch eine relative historische Berechtigung. Die alte Arbeiterbewegung wusste zwar nicht, was sie tat; das, was sie tat, war aber historisch notwendig und wie jede revolutionäre bürgerliche Bewegung konnte auch die alte Arbeiterbewegung ihrem historischen Berufe nur nachkommen, wenn sie sich über ihre eigenen Aufgaben täuschte. Die sozialistische Phrase musste den bürgerlichen Inhalt schönen, damit die alte Arbeiterbewegung als treibende Kraft der Durchkapitalisierung aller gesellschaftlichen Bereiche praktisch wirksam werden konnte. Die Bourgeoisie, auf sich gestellt, war entweder alleine zu schwach, um die rasante Entwicklung der Produktivkräfte zu vollbringen, und musste daher in der sowjetischen Variante durch die »sozialistische« Bewegung selber ersetzt werden oder sie bedurfte zumindest der Arbeiterbewegung als ständiger Peitsche, die sie auf ihrem Weg vorwärts trieb, wie in der westeuropäischen Version. Auf alle Fälle musste sich die alte Arbeiterbewegung mit vor das Joch der Produktivkraftentwicklung spannen.
Die kommunistische Revolution, nicht nur als politische verstanden, sondern als Revolution, die auch die Tätigkeit des Menschen grundlegend umwälzt, stand noch nicht auf der historischen Tagesordnung und so konnte sich die alte Arbeiterbewegung auch keine andere Aufgabe stellen als diejenige, die sie auch gelöst hat. Nur weil Marx den Entwicklungsstand der Produktivkräfte seinerzeit stark überschätzte, konnte er übersehen, dass er theoretisch die Möglichkeit einer kommunistischen Revolution im 19. Jahrhundert dementiert hatte und dass seine revolutionäre Theorie die Existenz des Kapitals und seine weitere Entwicklung für seine Zeit rechtfertigte, denn: »Eine Gesellschaftsformation geht nie unter, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist, und neue höhere Produktionsverhältnisse treten nie an die Stelle, bevor die materiellen Existenzbedingungen derselben im Schoße der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind.«27
Trotz aller immanenten Krisenhaftigkeit kapitalistischer Entwicklung beweist schon allein die gigantische weitere Entfaltung der Produktivkräfte nach dem Zweiten Weltkrieg, die ohne größere Erschütterungen innerhalb von Tauschwertlogik und Warenproduktion erfolgen konnte, dass eine proletarische Revolution als kommunistische Revolution im ersten Drittel dieses Jahrhunderts noch jeder objektiven und globalen Grundlage entbehrte. Engels schrieb rückblickend über seine und Marxens revolutionäre Hoffnungen von 1848: »Die Geschichte hat uns und allen, die ähnlich dachten, unrecht gegeben. Sie hat klar gemacht, dass der Stand der ökonomischen Entwicklung auf dem Kontinent damals noch bei weitem nicht reif war für die Beseitigung der kapitalistischen Produktion: sie hat dies bewiesen durch die ökonomische Revolution, die seit 1848 den ganzen Kontinent ergriffen und die große Industrie in Frankreich, Österreich, Ungarn, Polen und neuerdings Russland erst wirklich eingebürgert, aus Deutschland aber geradezu ein Industrieland ersten Ranges gemacht hat – alles auf kapitalistischer, im Jahre 1848 also noch sehr ausdehnungsfähiger Grundlage«.28
In der Retrospektive können und müssen wir Engels‘ Selbstkritik auf die II. und III. Internationale übertragen und all denjenigen, die immer noch den verpassten Chancen von anno dazumal nachtrauern, entgegenhalten, dass keine Fraktion der alten Arbeiterbewegung sich jemals wirklich über den Horizont von Warenproduktion und Arbeitsteilung – und genau das kann ja nur der Gehalt des Kommunismus sein – erhoben hat und erheben konnte. Denn den Widerspruch von Produktionsverhältnissen und Produktivkräften erfuhren die Aktivistinnen der alten Arbeiterbewegung nur als partiellen, niemals als totalen. Als »absoluten« Widerspruch kannten sie ihn nur vom Hörensagen, als versteinerte Floskel marxistischer Dogmatik.
Die revolutionäre Klasse als die größte Produktivkraft fühlte sich pudelwohl in ihrer bornierten Rolle und alle Sozialismuskonzeptionen liefen auf die Verallgemeinerung der Arbeiterexistenz hinaus statt auf deren Aufhebung. Wenn für Marx der Unterschied zwischen proletarischer Revolution und allen anderen vorhergegangenen Revolutionen darin besteht, dass bisher die revolutionären Klassen sich in ihrer Selbstborniertheit gesetzt haben, während für das Proletariat seine Revolution der Akt der Selbstaufhebung ist, so finden wir davon keine Spur im Bewusstsein der alten Arbeiterbewegung. Selbst der »rätekommunistische« Facharbeiter wollte Facharbeiter bleiben, nur die parasitären Kapitalisten sollten verschwinden. Selbst die »Linkskommunisten« waren also meilenweit entfernt von dem universalen Charakter des Proletariats, an den Marx die Möglichkeit der universalen proletarischen Revolution gebunden hatte. Wenn er schrieb, »sie kann nur vollzogen werden durch eine Vereinigung, die durch den Charakter des Proletariats selbst wieder nur eine universelle sein kann«,29 so schoss er weit über das Niveau der traditionellen Arbeiterformationen hinaus. Er antizipierte begrifflich-logisch einen Zustand, der sich historisch mit über hundert Jahren Verzögerung erst herzustellen beginnt.
Die Beschränktheit der Produktivkräfte drückt sich in der Borniertheit der größten Produktivkraft, der proletarischen Klasse, am entschiedensten aus. Der Facharbeiterstandpunkt als vorherrschendes Arbeiterbewusstsein mit all seinen korporatistischen und ständischen Elementen war eine denkbar ungeeignete Basis für die von Marx anvisierte proletarische, universelle Revolution. Erst die brutale Gewalt kapitalistischer Entwicklung konnte die arbeitende Klasse aus diesem noch immer selbstgenügsamen, trauten Verhältnis endgültig hinauskatapultieren und die Erosion der traditionellen Arbeiterformationen und der ihr entsprechenden Bewusstseinsformen schafft endlich die Voraussetzung für eine kommunistische Umwälzung. Solange es kein schlechter Witz ist, wenn ein Arbeiter Arbeiter sein will, kann von proletarischer Revolution im Sinne von sozialer Revolution nicht die Rede sein. »Die Bedingungen, unter denen die Individuen, solange der Widerspruch noch nicht eingetreten ist, miteinander verkehren, sind zu ihrer Individualität gehörige Bedingungen, nichts Äußerliches für sie, Bedingungen, unter denen diese bestimmten, unter bestimmten Verhältnissen existierenden Individuen allein ihr materielles Leben und was damit zusammenhängt produzieren können, sind also die Bedingungen ihrer Selbstbetätigung und werden von dieser Selbstbetätigung produziert. Die bestimmte Bedingung, unter der sie produzieren, entspricht also, solange der Widerspruch noch nicht eingetreten ist, ihrer wirklichen Bedingtheit, ihrem einseitigen Dasein, dessen Einseitigkeit sich erst durch den Eintritt des Widerspruchs zeigt und also für die Späteren existiert. Dann erscheint diese Bedingung als eine zufällige Fessel, und dann wird das Bewusstsein, dass sie eine Fessel sei auch der früheren Zeit untergeschoben.«30
Erst wenn die Produktivkräfte eine das Kapitalverhältnis sprengende Höhe erreicht haben, erst wenn sie wirklich universell geworden sind, verwandelt sich die jeweilige Privatarbeit in eine zufällige Äußerlichkeit für den einzelnen Arbeiter. Der Widerspruch zwischen universellen Produktivkräften und kapitalistischen Produktionsverhältnissen, zwischen dem unmittelbar gesellschaftlichen Charakter der Arbeit und ihrer Form als Privatarbeit, muss sich notwendig als Entprofessionalisierung äußern. In diesem Sinne zeigt allein schon die Tatsache, dass die traditionellen Facharbeiterformationen gar nicht auf die Idee gekommen wären, die Art ihrer Tätigkeit in Frage zu stellen, an, dass in den Hochzeiten der alten Arbeiterbewegung Produktivkräfte und kapitalistische Produktionsverhältnisse einander kongruent waren, trotz aller gegenteiligen Beteuerungen der Theoretiker der II. und III. Internationale. Die Lohnarbeiterexistenz, die andere Seite des Kapitalverhältnisses, war für einen breiten Teil der Lohnarbeiterinnen nichts Zufälliges, Äußerliches, Feindliches, sondern sie war identitätsstiftend im positiven Sinn. Hans Meier arbeitet 1922 nicht als Schlosser, er war Schlosser, und erst in der Retrospektive, vom heutigen Stand der Produktivkraftentwicklung aus gesehen, wird die Beschränktheit seiner Existenzweise deutlich.
Erst wenn der vereinzelte Proletarier, aus dem korporatistischen Verband herausgelöst, dem Kapital in völliger Nacktheit gegenübersteht, wenn er sich nicht mehr hinter seiner Professionalität verschanzen kann, wenn er als Individuum darauf zusammenschrumpft, abstrakt-allgemeine, daher von vornherein gesellschaftliche Arbeit zu leisten (so er seine Arbeitskraft verkaufen muss/kann), erst dann muss das Proletariat allen bornierten Zwecken entsagen und den universellen Zugriff auf die universellen Kräfte wagen. Erst dann wird Marx doch noch recht behalten: »Nur die von aller Selbstbetätigung vollständig ausgeschlossenen Proletarier der Gegenwart sind imstande, ihre vollständige, nicht mehr bornierte Selbstbetätigung, die in der Aneignung einer Totalität von Produktivkräften und der damit gesetzten Entwicklung einer Totalität von Fähigkeiten besteht, durchzusetzen.«31
Vergesellschaftung und Verwissenschaftlichung der Produktion als katastrophenhafter Prozess
Die Selbstzufriedenheit innerhalb des stofflichen Arbeitsprozesses, die im Arbeiterinnenstolz kulminiert, musste sich auch in dem Verhältnis zum Produkt dieser Arbeit widerspiegeln. So selbstverständlich rational, quasi natürlich und unabhängig von seiner kapitalistischen Form der konkrete Arbeitsprozess erschien, so selbstverständlich und unhinterfragbar musste sich für die Protagonisten der alten Arbeiterbewegung auch das Produkt dieser Arbeit darstellen. Sie wären, sehen wir einmal von der nur marginalen Luxus- und Goldproduktion ab, nie auf die Idee gekommen, ein Produkt als solches zu kritisieren, bestimmte Gebrauchswerte und Bedürfnisse als dem Kapitalverhältnis spezifisch anzusehen. Rosa Luxemburg zum Beispiel erweiterte das zweiteilige Reproduktionsschema aus dem zweiten Band des Kapital um eine dritte Abteilung, die Produktion von Gold als Zirkulationsmittel, und verortete den Unterschied zwischen kapitalistischer und sozialistischer Produktion allein im ersatzlosen Wegfall dieser faux frais der gesellschaftlichen Produktion unter der Morgensonne des Sozialismus. Getreide würde man in allen Gesellschaftsformationen benötigen, genauso wie Kleidung und Beleuchtung, ebenso die Produktionsmittel, mit deren Hilfe all diese Dinge erzeugt werden.
Nur im antimilitaristischen Kampf der alten Arbeiterbewegung finden wir hier eine Ausnahme. An diesem Punkt insistieren die Theoretiker und Propagandisten darauf, dass eine ganze Palette von Produkten allein dem antagonistischen Charakter der Gesellschaft entspringt und mit dem Klassenwiderspruch verschwinden wird. Aber auch hier war die Kritik an diesen Produkten weit weniger radikal als diejenige, die heute unübersehbar auf der Straße liegt. Und das aus gutem Grund. Erstens wurde nur und konnte nur ihr bewusster Zweck kritisiert werden, also ihre mörderische Funktion im Falle ihres Einsatzes, und nicht etwa die ungewollten, aber in Kauf genommenen Nebenfolgen dieser Produktion selber, etwa Umweltzerstörung, zweitens konnte das Überflüssigwerden von Waffen und Waffenproduktion erst von der fernen kommunistischen Zukunft erwartet werden. Waffen waren auch für das Proletariat im Klassenkampf unabdingbar und ebenso wäre für sozialistische Länder, neben denen noch kapitalistische existieren würden, Waffenproduktion ein notwendiger Teil der gesellschaftlichen Gesamtproduktion geblieben. Der Verteidigungskrieg wurde in der traditionellen Arbeiterbewegung anerkannt und gerechtfertigt und so konnten auch Waffen an und für sich nicht kritisiert werden, selbst in einer bürgerlichen Gesellschaft nicht. Kritikwürdig war allein der Angriffskrieg, aber einem Gewehr an sich war es nicht anzusehen, ob es auf Seiten der Verteidiger oder auf Seiten der Angreifer eingesetzt werden würde, auf Seiten der Bourgeoisie oder als proletarische Argumentationshilfe.
Erst die Verwissenschaftlichung des Mordens hat diese weitgehende Neutralität der Waffe endgültig aufgehoben und gleichzeitig die Unterscheidung zwischen Angriffs- und Verteidigungskrieg überholt. Die Atombombe ist eben nicht mehr wie die Kanonen von anno 1871 gegen die Bourgeoisie zu drehen und kann außer in kranken Hirnen kein Mittel proletarischer Aktion sein. Auch mit roter Nelke verziert und mit rosa Schleifchen umwickelt, könnte sie nie ein Symbol der proletarischen Revolution sein.
Die Ablösung des Kriegshandwerks durch die Verwissenschaftlichung der Kriegsführung zeigt wie im Brennglas ein allgemeineres Phänomen an, nämlich die Veränderung des Verhältnisses des unmittelbaren Produzenten zu seinem Produkt überhaupt. Die überkommenen handwerklerischen Grundlagen, die das Fabriksystem zunächst nur rationeller verwandte und konzentrierte, ließen die produzierten Gebrauchswerte weitgehend angebunden an die traditionellen Bedürfnisse und die als natürlich erscheinenden Formen des Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur. Wurde da und dort die Form einer Bedürfniserfüllung verändert, so doch kaum der Inhalt des Bedürfnisses. Die Petroleumfunzel ersetzte die Kerze und diese wurde schließlich ihrerseits von der Glühbirne abgelöst; aber es ging nach wie vor nur um Beleuchtung. Wer hätte dieses Bedürfnis kritisieren wollen? Für die breite Masse der Bevölkerung löste sich diese Beschränkung erst nach dem Zweiten Weltkrieg rasant und auf breiter Front auf, parallel zur Verwissenschaftlichung der Produktion. Sie setzt den entscheidenden Einschnitt.
Waren klar umrissene, voneinander geschiedene Privatarbeiten einzelner Arbeiterinnen, wenn auch in der Fabrik kombiniert, das Agens der Produktion, so waren auch die Kosten dieses Produkts klar umrissen. Sie bestanden allein aus der verausgabten lebendigen Arbeit und den aufgebrauchten Rohstoffen, Produktionsmitteln und Hilfsmitteln, die sich selber wieder in die zu ihrer Herstellung vernutzte lebendige Arbeit auflösen ließen. Konflikte zwischen Arbeit und Kapital gab es hier insofern, als ein Teil der lebendigen Arbeit dem Kapital unbezahlt zukam, weshalb dieses immer versucht war, hier Raubbau zu treiben. Der Versuch der Kapitalisten, Kosten zu externalisieren, konnte sich nur gegen die eigenen Arbeiterinnen richten oder vermittelt gegen die Arbeiterinnen des jeweiligen Lieferanten. Die bloße Existenz des Mehrwerts ist der Ausdruck für diese Art von Externalisierung. Im Kostpreis spiegelt sich nur ein Teil der verausgabten Arbeit, der andere gesellschaftlich nicht minder reale Teil taucht in der Kostenrechnung des Kapitalisten nicht auf. Hierin findet der Klassenkonflikt zwischen Bourgeoisie und Proletariat seine traditionelle Grundlage.
Diese Konstellation verändert sich, sobald an die Stelle abgegrenzter Privatarbeiten in entscheidenden Bereichen ein von vornherein gesellschaftliches, naturwissenschaftlich-technisches Aggregat als das Agens der Produktion einrückt. Die beschriebene Kostenexternalisierung zu Ungunsten der eigenen Arbeiterinnen bleibt bestehen, wird aber überlagert. In den Vordergrund schiebt sich die Revolutionierung des produktiven Bezugs des Menschen auf die Natur. Indem das Kapital die Naturwissenschaften unmittelbar in seine Botmäßigkeit nimmt, gestaltet es den Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur gänzlich um, bleibt aber als wertheckender Wert selbstverständlich völlig gleichgültig gegen den stofflichen Inhalt, den es selber freisetzt. Das Einzelkapital interessiert die gesellschaftliche und stoffliche Potenz der Produktivkraft Wissenschaft nur insoweit, wie diese die von ihm zu bezahlenden Kosten pro Stück Output minimiert oder neue profitträchtige Produktionszweige ermöglicht. Unbekümmert um alle anderen Folgen, setzt es die gesellschaftliche Potenz allein im Sinne der maximalen Verwertung in Gang. Kosten, die sich nicht unmittelbar in den Bilanzen spiegeln, gesellschaftliche Lasten, die die Anwendung einer gesellschaftlichen Potenz hervorruft, kann der Wert als sich selbst setzender und sich selbst genügender Zweck nicht berücksichtigen. So muss sich die Vergesellschaftung und Verwissenschaftlichung der Produktion katastrophenhaft durchsetzen.
Die Natur und die Gesellschaft tragen die Folgelasten eines qualitativ umgewälzten Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur, der eingeschweißt bleibt in die rein quantitative Bestimmung des Geldes. Jeder Versuch, die hervorgerufenen Veränderungen im »Naturhaushalt« und im menschlichen Leben a posteriori wieder ins Quantitative, also ins geliebte Geld zurückzuübersetzen und die Verursacher entsprechend zur Kasse zu bitten, gleicht der Quadratur des Kreises und macht nur deutlich, wie wenig die Tauschwertgestalt die heutige Realität zu fassen vermag. Die Abstraktheit des Geldes, die den gesellschaftlichen Zusammenhang nur indirekt, hinter dem Rücken der Individuen herstellt, kann einer universell gewordenen Wirklichkeit, die alles und jeden unmittelbar miteinander in Verbindung bringt, und sei es unter dem Vorzeichen allgemeiner Katastrophen, nicht gerecht werden.
Solange die Produktivkräfte nicht antagonistisch den Produktionsverhältnissen gegenüberstehen, solange bleibt ihr Kreuzungspunkt, der Arbeitsprozess und seine Produkte, mit sich in Frieden. Die Rationalität des Produktionsprozesses und seiner Ergebnisse schlägt aber in Irrationalität um, sobald die Produktivkräfte den Produktionsverhältnissen entwachsen sind oder zu entwachsen beginnen. Am Schnittpunkt zwischen Produktionsverhältnissen und Produktivkräften kommt deren Spannung zum Vorschein, und die stoffliche Produktion stößt nunmehr wildgewordene Resultate aus. Vom Standpunkt des Gebrauchswertes wird die gesellschaftliche Reproduktion widersinnig bis selbstmörderisch. Die mittlerweile universellen Produktivkräfte der gesellschaftlichen Arbeit bleiben vor das inzwischen wackelige Wägelchen der Verwertung des Werts gespannt und schleudern es in höllischer Fahrt hinter sich her durch die Prärie. Die materielle Produktion bringt die Unangemessenheit der Verhältnisse ans Licht. Das universelle Mittel, unterworfen dem erbärmlichsten Zweck, bringt die wunderlichsten Resultate hervor, und im konkreten Arbeitsprozess materialisiert sich dieser Irrsinn. Die Herrschaft des Tauschwerts, der Mangel an unmittelbarer Gesellschaftlichkeit, stellt schließlich die bloße Fortexistenz der Menschheit in Frage, die letztendlich gezwungen ist, den überlebten Tauschwert abzuschaffen oder sich selber auszuradieren. Genau diesen Zustand fasst die Marxsche Vorstellung von der Rebellion der Produktivkräfte gegen die überkommenen Produktionsverhältnisse.
Raasan Samuel Loewe
Bei diesem Text handelt es sich um ein Plagiat des Artikels »Technik als Fetisch-Begriff« von Ernst Lohoff, der 1987 in »Marxistische Kritik« erschien. Dies war uns nicht bewusst, als wir ihn abdruckten.
- 1. Eine ausführliche und immer noch gültige Kritik der postoperaistischen Ideologie liefert Franz Katz, Warten auf die immaterielle Arbeiterbewegung, in: Kosmoprolet 1, (2007), 112–127.
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- 16. Stefan Breuer, Die Krise der Revolutionstheorie, Frankfurt/M. 1971, 252.
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- 22. Theodor W. Adorno, Kritik. Kleine Schriften zur Gesellschaft, Frankfurt/M. 1971, 41.
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