Eine Krise des Werts

19. Juli 2009

Sander, Juni 2009

1.

Man braucht nicht zu wiederholen, dass wir uns in der schwersten Krise des Kapitalismus seit den dreißiger Jahren befinden – selbst in den Massenmedien ist es zum Mantra geworden. Aber wie sind wir in diesen Schlamassel gelangt? Für welches Handeln (oder Nichthandeln) man eintritt, hängt von der Antwort auf diese Frage ab. Schon die Weise, in der die Krise dargestellt wird, enthält eine Antwort. Die Massenmedien haben uns überhäuft mit Geschichten von Gier, Missmanagement und Mangel an Regulation. Das „angelsächsische“, „neoliberale“ Modell eines ungezügelten freien Marktes hat sich gründlich diskreditiert, die ökonomischen Helden der Rechten sind von ihren Sockeln gestürzt und der gute alte Keynes ist wieder en vogue. Der neue Konsens bevorzugt mehr Regulation, mehr Staatsintervention und mehr Neuverschuldung, um dem Deflationssog entgegenzuwirken, der die Ökonomie schrumpfen lässt – diskutiert wird lediglich, in welchem Umfang. Ausgefochten wird diese Debatte, wie nicht anders zu erwarten, innerhalb der Linken des pro-kapitalistischen Spektrums – zwischen denjenigen, die glauben, dass eine Feinabstimmung der Symbiose zwischen Staat und privatem Kapital zur besten aller möglichen Welten führt, und denen, die herbeihalluzinieren, dass sie die kapitalistische Gesellschaft durch allmähliche Verstaatlichung der Ökonomie in den Sozialismus hinein abmildern werden. Nichtsdestoweniger sind sich beide Parteien darin einig, dass die Krise das Ergebnis von Gier, Missmanagement und Deregulierung ist. Beide gebärden sich in unterschiedlichem Maße kapitalismuskritisch, aber ihre Kritik ist eine positive: Sie verbindet der Glaube und das Programm, dass der Kapitalismus reformierbar sei. Das macht sie zu den wichtigsten Apologeten des zeitgenössischen Kapitalismus.

Es gibt noch eine andere Antwort auf die Frage nach der Ursache des Schlamassels. Eine Antwort, die implizit enthalten ist in den griechischen Riots, in der Weigerung von Arbeitern in Frankreich, Mitverantwortung für die Krise zu übernehmen, in der Weigerung von Arbeitern in China, die Gesetze zu befolgen, in der Entschlossenheit von arbeitslosen Bauarbeitern in den USA, die sich spontan organisierten, um den Obdachlosen leer stehende Immobilien zurückzugeben... Eine Antwort, die lautet: Der Kapitalismus ist überholt. Es ist Zeit für etwas Neues.

Eine Antwort, die lautet: Der Kapitalismus ist überholt. Es ist Zeit für etwas Neues.

Falls die Zeit kommt, in der sich diese Antwort zu massenhaften Kämpfen ausweitet, wird es einer starken pro-revolutionären politischen Bewegung bedürfen, die deutlich ausspricht, was dann intuitiv gespürt werden wird, und die durch ihre Klarheit den Staub der Zeit und des Vergessens und alle ideologischen Spinnweben vom Spiegel fegen hilft, so dass der Gesamtarbeiter seiner selbst inne werden kann. Was diese Revolutionäre zu sagen haben, ist heutzutage nicht besonders populär. Immer wieder zerreden sie die Verbesserungsvorschläge der Linken (und Rechten). Auf ein vorwurfsvolles „Aber was schlagt ihr dann konkret vor?“ können sie nur erwidern: kompromisslosen Widerstand gegen das Elend, das der Kapitalismus in der Krise der Arbeiterklasse aufbürdet. Sie haben nur die Hoffnung anzubieten, dass die Arbeiterklasse sich selbst durch diesen Widerstand in eine Klasse für sich verwandelt und damit die Menschheit befreit; dass in ihrer Selbstorganisation die nachkapitalistische Gesellschaft Gestalt annimmt. Deshalb sind Revolutionäre bei denen, die der Realität nicht ins Gesicht zu schauen wagen und sich stattdessen im Namen des „Realismus“ an Illusionen klammern, als Utopisten verschrien.

Im Gegensatz zur üblichen linken Kritik ist die revolutionäre Kritik des Kapitalismus eine negative. Sie behauptet, dass sich die gegenwärtige Krise verschlimmern wird, welche Maßnahmen auch immer dagegen ergriffen werden. Bestenfalls werden diese Maßnahmen die Beschleunigung der Krise herabsetzen, aber jede Konjunkturbelebung belebt nur wieder die Blase, denn diese Blase betrifft nicht nur den Immobilienmarkt und den Finanzsektor. Die Weltwirtschaft als ganze ist eine Blase, die früher oder später mit schrecklichen Konsequenzen für den allergrößten Teil der Menschheit platzen wird – egal wie und von wem sie gemanagt wird. In seiner ersten Phase hat sich der Deflationsdruck, wie es nahe lag, als Vertrauenskrise im Bankensystem geäußert, was sich bis jetzt durch Staatsinterventionen eindämmen ließ. Die Heftigkeit des Deflationstrends und die Widerstandskraft der Staaten wird entscheiden, wie schnell diese Krise zu einem Vertrauensverlust gegenüber dem Staat, dem Dollar, dem Euro usw. führen wird. Wenn dieser Punkt erreicht ist, gibt es keine höhere Macht mehr, die dem System zur Hilfe kommen könnte. Der Kapitalismus wird dann am gefährlichsten, wenn die einzige verbliebene Alternative die Flucht nach vorne ist.

Die negative Kritik des Kapitalismus geht davon aus, dass er irreparabel ist, weil die Krise das direkte Resultat der historischen Überholtheit seiner Grundlage ist: der Wertform.

Eine Welt des Werts

2.

Der Wert ist der mächtigste Gott auf Erden, man betet ihn an und gehorcht ihm wie keinem anderen. Obwohl wir Menschen ihn erfunden haben, sind wir seinen Zwecken unterworfen – nicht umgekehrt. Wir leiden und sterben, damit seine Akkumulation weitergehen kann. Der Wert wurde von Menschen geschaffen, aber er hat sich verselbständigt und erscheint als eine außer uns liegende Kraft wie das Wetter; wir können zwar versuchen, Einfluss auf ihn zu nehmen, aber letztlich müssen wir uns ihm anpassen und seine Konsequenzen ertragen, wie furchtbar sie auch sein mögen.

Wenngleich es vollkommen irrational ist, dass der gesellschaftliche Verkehr weiterhin auf ihm beruht, könnte der Wert ohne rationales Denken nicht existieren; er ist durch und durch logisch. Seine Logik ist mit der Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft immer komplexer geworden und zieht heute die Notwendigkeit von Geld, Banken, Staaten, Grenzen, Armeen, Polizei, Gewerkschaften, Kirchen und Pornographie sowie von zahllosen Gefängnissen nach sich, die teils Gefängnis, teils Schule, Fabrik, Büro oder Kaserne heißen. Gemäß der Logik des Werts zufolge sind sie unverzichtbar. Diese Logik beginnt indes recht einfach. Es ist durchaus logisch, dass Gesellschaften, die ein über die Erfordernisse ihrer eigenen Reproduktion hinausgehendes Mehrprodukt erzeugen, in Austausch miteinander treten. Es ist logisch, dass dieser Austausch einen Markt hervorbringt, auf dem jeder so teuer wie möglich verkaufen und so billig wie möglich kaufen will.

Dies war die Geburtsstunde des Kapitalismus, der auf dem Umstand gründet, dass diese Ware Wert schafft

Es ist daher auch logisch, dass der Austausch von Waren auf der Grundlage der für ihre Produktion erforderlichen durchschnittlichen Arbeitszeit erfolgt. Erzielt eine Ware einen höheren Preis als andere Waren, die die gleiche gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit erfordern, fließt mehr Arbeitskraft in ihre Produktion, um den entsprechend höheren Gewinn zu realisieren; dadurch entsteht schließlich ein Überangebot, dass den Preis dieser Ware drückt, so dass sich ihr Wert (gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit) gegen die gleiche Menge Wert (gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit) tauscht. Je mehr die Produktion einer Gesellschaft daher auf den Markt ausgerichtet ist, umso stärker bestimmt das Wertgesetz die Verteilung der Arbeit. So ist der Wert der Architekt der kapitalistischen Gesellschaft.

Märkte, Geld und somit Wert sind älter als die kapitalistische Produktionsweise. Doch das Wertgesetz kann nur in dem Maße wirken, in dem konkrete, spezifische Arbeit zu abstrakter, gleichförmiger Arbeit wird. Es setzt eine Gleichheit verschiedener Arten von Arbeit voraus, um sie austauschbar zu machen und stets von einem Sektor der Produktion in einen anderen verschieben zu können. Die Ausweitung des Marktes zog daher logischerweise den nächsten Schritt nach sich: Die Arbeitskraft wurde selbst zu einer Ware, die frei ver- und gekauft wird. Dies war die Geburtsstunde des Kapitalismus, der auf dem Umstand gründet, dass diese Ware Wert schafft, während ihr eigener Wert wie der aller anderen Waren durch die zu ihrer Produktion erforderliche gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit bestimmt ist. Der Arbeiter arbeitet zehn Stunden, aber die Produktion der Güter und Dienstleistungen, die er benötigt, um seine Arbeitskraft weiterhin verkaufen zu können, erfordert lediglich fünf Stunden. Das Äquivalent der Arbeitskraft, die er verkauft, ist somit fünf Stunden, doch er arbeitet zehn Stunden. Der Wert der anderen fünf Stunden kommt dem Kapitalisten zu, dem das Produkt seiner Arbeit gehört. Der Wert einer Ware im Kapitalismus ist folglich c + v + m: c (konstantes Kapital) steht für den Wert der vergangenen Arbeit (Maschinerie, Infrastruktur, Rohstoffe), die bei der Produktion der Ware verbraucht wird, v (variables Kapital) für den Wert der in der Produktion verbrauchten neuen Arbeitskraft und m (Mehrwert) für die von der Arbeitkraft verausgabte gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit abzüglich jenes Teils, der zur Reproduktion ihres eigenen Wert erforderlich ist.

 

Money makes the world go round

 

Während frühere herrschende Klassen die Gesellschaft auspressten, um Macht und Reichtum anzuhäufen, entwickelte sich mit dem Anbruch des Kapitalismus die Akkumulation abstrakten Werts vermittels der Produktion von Mehrwert zum maßgeblichen Ziel der Gesellschaft, zur Triebkraft der Ökonomie. Dies erforderte eine weitere vorkapitalistische Erfindung, ohne die der Kapitalismus nicht existieren könnte: Geld. Ursprünglich war der Wert dieser eigentümlichen Ware, die die einzigartige Fähigkeit besitzt, abstrakten Wert zu repräsentieren und folglich mit allen anderen Waren austauschbar zu sein, wie der aller anderen Waren durch die zu ihrer Produktion erforderliche gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit bestimmt. Das Geld existierte als besondere Ware, bevor es zur allgemeinen Ware wurde, die den Austausch aller anderen ermöglicht. Die besondere Ware (in der Regel Edelmetalle) wurde zum Geld, weil sie aufgrund ihrer Eigenschaften besonders geeignet war, den Wert aller anderen Waren zu messen, der somit als Preis (als bestimmte Quantität Geld) ausgedrückt werden konnte. Doch mit dem Entstehen des Marktes wurde ein Mittelsmann für den Warentausch notwendig. Komplexe Austauschprozesse konnten nur stattfinden, wenn die Möglichkeit bestand, zu verkaufen, ohne zu kaufen, und zu kaufen, ohne zu verkaufen – Waren also gegen ein allgemeines Tauschmittel zu tauschen, das den Tauschwert allgemein repräsentiert.

Diese zweite Funktion des Geldes wird zwar durch die erste ermöglicht, steht aber zugleich im Widerspruch zu ihr. Als Maß der Werte – als besondere Ware – ist es unerheblich, in welcher Quantität Geld vorhanden ist: Um den Wert der anderen Waren auszudrücken, muss das Geld nicht vorhanden sein, da die „ideelle Verwandlung“ (Grundrisse, 103) der Waren in Geld genügt; aber der Wert seiner materiellen Substanz ist für diese Funktion von größter Bedeutung. Als Tauschmittel hingegen – als allgemeine Ware – ist seine materielle Substanz unerheblich: Insoweit es nur als Symbol des allgemeinen Tauschwerts fungiert, muss es lediglich als ein solches allgemein akzeptiert sein. Da es so jedoch den Tauschwert gegenüber allen anderen Waren repräsentiert, ist seine Quantität nun von großer Wichtigkeit und muss mit der Masse der Waren, deren Zirkulation es ermöglicht, zunehmen. Auf den ersten Blick scheint es, dass das Geld als Tauschmittel den direkten Warentausch nicht substantiell verändert, sondern nur komplexer macht: Statt des direkten Warentauschs (W-W) erfolgt nun ein Tausch einer besonderen Ware gegen die allgemeine Ware Geld (W-G) und ein Tausch von Geld gegen eine andere besondere Ware (G-W). Tatsächlich wird der Tauschprozess dadurch jedoch substanziell verändert: „Die Akte des Kaufens und Verkaufens (…) erscheinen als zwei gegeneinander gleichgültige, in Ort und Zeit auseinanderliegende Akte. (…) Ihre Gleichgültigkeit kann zur Befestigung und scheinbaren Selbständigkeit des einen gegen das andre fortgehn. Insofern sie aber beide wesentlich Momente Eines Ganzen bilden, muß ein Moment eintreten, wo die selbständige Gestalt gewaltsam gebrochen und die innre Einheit äußerlich durch eine gewaltsame Explosion hergestellt wird. So liegt schon (…) in dem Auseinanderfallen des Austauschs in zwei Akte der Keim der Krisen, wenigstens ihre Möglichkeit“ (Grundrisse, 112).

Der Wert ist nicht stabil, nicht permanent.

Diese Spaltung des Austauschs in zwei Akte erlaubt es dem Geld zugleich, eine dritte und für den Kapitalismus wesentliche Funktion anzunehmen. Sie setzt die ersten beiden Funktionen voraus und vereinigt sie. Sobald das Geld eine besondere Ware ist, die den Tauschwert misst, und eine allgemeine Ware, die den Tausch vermittelt und dadurch spaltet, wird es zum allgemeinen materiellen Repräsentanten des Reichtums, zu einer Ware, die die Aufbewahrung und somit auch Akkumulation von Tauschwert ermöglicht. Die Akkumulation von Geld wurde folglich zum obersten Prinzip der gesellschaftlichen Reproduktion. „Money makes the World go round“, wie ein Song besagt: Es wird in konstantes Kapital und Arbeitskraft investiert (c+v), deren produktive Konsumption mehr Wert schafft (c+v+m) und folglich auch mehr Geld. Dieser Prozess kann ad infinitum von Neuem begonnen werden. Der Profit weist den Weg. Da das Bedürfnis nach Geld unendlich ist, scheint auch die Fähigkeit des Kapitalismus zur Ausweitung unendlich zu sein.

Es scheint sich beinahe um ein perfektes System zu handeln, bis auf eines: Der Wert ist nicht stabil, nicht permanent. Bei den meisten Waren liegt dies auf der Hand: Werden sie nicht verkauft, verlieren sie ihren Wert. Die Waren, so Marx, sind „vergängliches Geld“: Sie müssen in Geld verwandelt werden, um ihren Wert nicht zu verlieren. Das Geld hingegen kann als „unvergängliche Ware“ seinen Wert aufbewahren und muss nicht verwandelt werden (Grundrisse, 67).

In Wirklichkeit ist es jedoch anders. Das Geld ist nur der allgemeine Repräsentant des Reichtums, weil es austauschbar ist. Seine Fähigkeit, Wert aufzubewahren, bleibt nur in dem Maße real, wie seine Austauschbarkeit real bleibt, insoweit also „der wirkliche Tauschwert beständig an die Stelle seines Repräsentanten tritt, beständig den Platz mit ihm wechselt, sich beständig mit ihm austauscht“ (Grundrisse, 126). Das bedeutet nicht, dass der Wert des Geldes gleich dem Wert der von ihm zirkulierten Waren ist. Akkumulation erfordert einen Reservefonds; der Wert muss den Kreislauf der Reproduktion verlassen und wieder in ihn eintreten können. Es muss stets einen „Schatz“ an Geldkapital geben, der als latentes produktives Kapital fungiert, der in die Sphäre der Produktion fließt, wenn die Akkumulation es erfordert, der, während er nicht als Zirkulationsmittel fungiert, potenzielles Zahlungsmittel bleibt. Doch inwieweit dieser Schatz, dieses Geldkapital, realen Wert repräsentiert, ist nicht allein durch den Wert bestimmt, den er zu dem Zeitpunkt repräsentierte, als er dem Kreislauf der Reproduktion entzogen wurde. Alles Geld ist per definitionem ein Anspruch auf zukünftigen Reichtum und kann folglich nur in dem Maße wachsen, wie die Produktion von Wert wächst. Geldkapital ist lediglich ein Besitztitel auf einen Teil des Gesamtwerts. Schrumpft dieser Wert oder wächst er langsamer als das Geldkapital, repräsentiert letzteres weniger Wert und muss entwertet werden.

Die Instabilität des Werts erklärt daher auch, warum im Kapitalismus Akkumulation stattfinden muss. Nur indem sie Produktivkräfte in Gang setzen und dergestalt Mehrwert produzieren, also den Wert vergrößern (oder ihn dort stehlen, wo er vergrößert wird), können existierende Kapitale ihre eigene Entwertung verhindern.

Der Doppelcharakter der Ware

 

Bevor die Produkte menschlicher Arbeit zu Waren wurden, hergestellt für einen Markt, besaßen sie natürlich auch Wert. Der Wert eines Brotes beispielsweise bestand darin, dass es nahrhaft war und gut schmeckte. Leute wollten es, es hatte einen Gebrauchswert.

Um einen Tauschwert zu besitzen, müssen Waren einen Gebrauchswert haben. Das muss nicht bedeuten, dass sie objektiv nützlich sind, sondern nur, dass sie für jemanden erstrebenswert sind, der das Geld hat, sie zu kaufen. Das verhindert, dass sich die Wertakkumulation vollständig von den tatsächlichen Bedürfnissen der Gesellschaft löst. Die Akkumulation muss die Form der Vermehrung von Gebrauchswerten annehmen, auch wenn sie nur ein Mittel zur Vermehrung des abstrakten Tauschwertes ist – darin liegt der wirkliche Zweck und die Funktion des Kapitalisten.

Deshalb muss die Vermehrung von Gebrauchswerten und Tauschwerten Hand in Hand, in einem einheitlichen Prozess vor sich gehen. Dennoch unterscheiden sich beide durchaus. Als Gebrauchswert besitzt eine Ware spezifische Eigenschaften. Aber ihr Tauschwert ist keine ihr innewohnende Qualität. Vielmehr ist er der Wert des zu seiner Produktion eingesetzten Kapitals plus Mehrwert. Er ist ein gesellschaftliches Verhältnis, Kapital-Arbeit. Auf ihrem Eroberungszug über die Welt, bei dem sie alle anderen Produktionsweisen auslöscht oder verdrängt, reproduziert und verbreitet die kapitalistische Warenproduktion dieses gesellschaftliche Verhältnis immer weiter.

Ihr Erfolg erklärt sich aus dem Doppelcharakter der Ware, aus der Tatsache, dass sie Gebrauchswert und Tauschwert zugleich hat. Die Jagd nach dem Mehrwert warf ein beständig wachsendes Mehrprodukt ab, und diese überlegene Produktivität war „die schwere Artillerie, mit der sie [die Bourgeoisie] alle chinesischen Mauern in den Grund schießt“ (Manifest der Kommunistischen Partei, MEW 4, 466). Wenn wir Geschichte als unablässige Anstrengung zur Überwindung der Knappheit betrachten, in die die Menschheit hineingeboren wurde, und damit als ein Anwachsen der Arbeitsproduktivität, dann erscheint der Kapitalismus als eine notwendige und unumgängliche Phase. Dass er zugleich eine Übergangsphase ist, ist wiederum dem Doppelcharakter der Ware geschuldet.

Zwei Milliarden Menschen sind erwerbslos, weil das Kapital sie nicht brauchen kann

Die Krise liegt in der Ware selbst, in ihrem Doppelcharakter. Heutzutage ist es ziemlich offensichtlich, dass Gebrauchswert und Tauschwert auseinander getreten sind. Niemals zuvor war die Produktivität und damit die Möglichkeit zur Vermehrung der Gebrauchswerte so groß. Zugleich hat sich niemals zuvor das wachsende Unvermögen, den Tauschwert zu vermehren, so deutlich gezeigt, wie in der heutigen Welt, die in ihrer Überproduktion ersäuft, während zugleich mehr und mehr menschliche Bedürfnisse unbefriedigt bleiben. Die Vermehrung von Gebrauchswert und Tauschwert geht nicht mehr Hand in Hand. Der Profit bestimmt, wo und wann Arbeitskraft angewendet wird. Zwei Milliarden Menschen sind erwerbslos, weil das Kapital sie nicht brauchen kann, um den Tauschwert zu vermehren. Die Verwertung des Werts steckt in der Krise und es ist die Vervielfachung der Fähigkeit, Gebrauchswerte zu schaffen, die das Loch geschaufelt hat, aus dem der Kapitalismus nun nicht mehr herauskommt, ohne massive Zerstörung hervorzurufen. Tauschwert ist ein lächerlicher Maßstab geworden für eine Gesellschaft, deren realer Wohlstand nicht mehr auf Arbeitszeit gegründet ist.

Wie Marx schrieb: „In dem Maße aber, wie die große Industrie sich entwickelt, wird die Schöpfung des wirklichen Reichtums abhängig weniger von der Arbeitszeit und dem Quantum angewandter Arbeit, als von der Macht der Agentien, die während der Arbeitszeit in Bewegung gesetzt werden und die selbst wieder - deren powerful effectiveness - selbst wieder in keinem Verhältnis steht zur unmittelbaren Arbeitszeit, die ihre Produktion kostet, sondern vielmehr abhängt vom allgemeinen Stand der Wissenschaft und dem Fortschritt der Technologie (...) Die Arbeit erscheint nicht mehr so sehr als in den Produktionsprozess eingeschlossen, als sich der Mensch vielmehr als Wächter und Regulator zum Produktionsprozess selbst verhält. (...) Er tritt neben den Produktionsprozess, statt sein Hauptagent zu sein. In dieser Umwandlung ist es weder die unmittelbare Arbeit, die der Mensch selbst verrichtet, noch die Zeit, die er arbeitet, sondern die Aneignung seiner eignen allgemeinen Produktivkraft, sein Verständnis der Natur und die Beherrschung derselben durch sein Dasein als Gesellschaftskörper - in einem Wort die Entwicklung des gesellschaftlichen Individuums, die als der große Grundpfeiler der Produktion und des Reichtums erscheint“ (Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, MEW 42, 592f).

Über weite Strecken der Aufstiegsperiode des Kapitalismus kam der Widerspruch zwischen wirklichem Reichtum und kapitalistischem Reichtum noch nicht zum Tragen. Gebrauchswerte und Tauschwert vermehrten sich im Gleichtakt. Nach und nach übernahm der Kapitalismus alle Formen der Warenproduktion und dehnte sie auf Bereiche aus, wo sie zuvor nicht existiert hatte. Diese Reorganisation der Produktion bedeutete zugleich eine Vergesellschaftung des Arbeitsprozesses. Indem die Arbeiter an einem Arbeitsplatz zusammengefasst wurden, man ihnen spezialisierte Arbeiten gab und ihre Arbeiten austauschbar machte, erzielte man eine gewaltige Verringerung der Kosten und zugleich einen Produktivitätsanstieg. Dieser führte zu einer immer größeren Differenz zwischen der von den Arbeitern geleisteten und der zur Herstellung ihrer Lebensmittel erforderlichen Arbeit, selbst wenn letztere aufgrund von Arbeiterkämpfen und gesellschaftlichen Veränderungen ebenfalls wuchs. Je mehr Arbeiter eingestellt wurden, je länger sie arbeiten mussten und je geringer die Kosten ihrer Reproduktion wurden, desto mehr unbezahlte Arbeitszeit wurde angehäuft und desto mehr Mehrwert wurde geschaffen. Beschäftigung, Produktivität und Profit wuchsen Hand in Hand. Je mehr Proletarier durch die Produktivkraftentwicklung geschaffen wurden, desto mehr steigerten sich Produktivität und Wertproduktion. Deshalb erschienen sie als geradezu synonym: Je mehr materieller Wohlstand, desto mehr Profit. Es gab also eine Balance zwischen dem Wachstum des Tauschwertes und der Vermehrung der Gebrauchswerte. Die Quelle von beidem war dieselbe: Mehrarbeit. Das Wertgesetz war in Harmonie mit den Produktivkräften der Epoche.

Der Übergang zur reellen Subsumtion

 

Es gibt zwei Arten, Mehrwert zu schaffen: Über Jahrhunderte bediente sich der Kapitalismus des offensichtlicheren, der Verlängerung des Arbeitstages. Er hatte noch nicht eine neue, untrennbar mit dem Kapitalismus verbundene Art der Produktion entwickelt. Der Weber stellte Stoffe her wie zuvor, aber er tat es nun in einer Manufaktur und erhielt dafür Lohn. Je länger er für diesen Lohn arbeitete, desto mehr Mehrwert strich der Kapitalist ein.

Doch es gibt auch eine andere Art, Mehrwert zu schaffen. Anstatt den Arbeitstag als ganzen zu verlängern (was seine natürliche Grenze hat), kann auch der relative Teil des Arbeitstages verlängert werden, an dem der Arbeiter unbezahlte Mehrarbeit für den Kapitalisten leistet, indem der andere Teil verringert wird, der der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit zur Produktion dessen entspricht, was der Arbeiter zu seiner eigenen Reproduktion braucht. Mit anderen Worten: Je mehr der Wert des Arbeitslohns fällt im Verhältnis zu dem, was der Arbeiter insgesamt produziert, desto mehr Mehrwert schafft er.

Aber über den Wert des Lohns hat der Kapitalist keine direkte Kontrolle im Unterschied zu seinen Versuchen, den Arbeitsprozess über die gesellschaftliche Norm hinaus zu intensivieren. Natürlich versucht er, den Lohn immer unter den Wert der Ware Arbeitskraft zu drücken, und hat dabei auch, aufgrund des Überangebots an Arbeitskräften oder aufgrund von Gewalt oder Ideologie, häufig genug Erfolg; doch unter normalen Bedingungen beherrscht das Wertgesetz den Arbeitsmarkt so wie auch alle anderen Märkte, was heißt, dass die Ware Arbeitskraft ungefähr zu ihrem Wert gekauft wird. Im Allgemeinen resultiert der Fall des relativen Werts des Lohns nicht aus dem Handeln irgendeines bestimmten Kapitalisten, sondern ist das Ergebnis eines allgemeinen gesellschaftlichen Produktivitätsanstiegs, der die Waren, die der Arbeiter zu seiner Reproduktion benötigt, immer billiger werden lässt.

Was der Arbeiter zu seiner Reproduktion benötigt, ist eine begrenzte Menge von Gebrauchswerten, die ihm ermöglichen, eine Familie zu ernähren und gesund zu bleiben, mit einem Dach über dem Kopf zu wohnen – eine Menge von Gebrauchswerten, die sich im gesellschaftlichen Wandel vergrößert, aber eine Widerspiegelung dessen bleibt, was unter gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen für die Reproduktion der Arbeitskraft als notwendig erachtet wird. Je produktiver eine Gesellschaft ist, desto geringer ist der Anteil an gesellschaftlich notwendiger Arbeit, der erforderlich ist, um diese Gebrauchswerte zu produzieren, und desto höher ist damit auch der Mehrwert für den Kapitalisten.

Durch die Erhöhung der Arbeitsproduktivität erzielt der Kapitalist nicht direkt einen höheren Wert

Marx sah einen Wechsel der Hauptprofitquelle des Kapitalismus von absoluter zu relativer Mehrwertproduktion. Aber durch die Erhöhung der Arbeitsproduktivität erzielt der Kapitalist nicht direkt einen höheren Wert. „Der Arbeitstag von gegebner Größe stellt sich stets in demselben Wertprodukt dar, wie auch die Produktivität der Arbeit (...) wechsle“ (Das Kapital, Bd.1, MEW 23, 543). Die Steigerung der Produktivität bedeutet lediglich, dass dieser „Wert sich also über mehr (...) Waren verteilt“ (ibid.). Steigert ein Kapitalist die Produktivität, dann reduziert er damit noch nicht den Wert des Arbeitslohns, außer er verkauft direkt an seine Arbeiter die Waren, die sie konsumieren. Worin besteht also seine Motivation, in Produktivitätssteigerung zu investieren?

Sein Anreiz liegt weniger in der Möglichkeit begründet, mehr Wert zu schaffen, als vielmehr darin, mehr Wert, der anderswo geschaffen wurde, abzugreifen, im Extraprofit also. Dieser entsteht, „sobald der individuelle Wert seines Produkts unter dessen gesellschaftlichem Wert steht, und daher über seinem individuellen Wert verkauft werden kann“ (Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses, 50). Der gesellschaftliche Wert ist das Quantum an gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit, das unter gegebenen ökonomischen Bedingungen für die Produktion einer gegebenen Ware erforderlich ist und sich daher an den durchschnittlichen, überwiegend durchgesetzten Methoden der Produktion orientiert. Diejenigen, die mehr als das gesellschaftlich durchschnittliche Quantum an Arbeitszeit zur Herstellung einer Ware benötigen, erzielen deshalb einen unterdurchschnittlichen Profit, während diejenigen, die weniger Zeit benötigen, einen Extraprofit erzielen. Es muss betont werden, dass dieser Extraprofit, der aus einer Steigerung der Arbeitsproduktivität resultiert, nicht unbedingt einen Extra-Profit für das Kapital als Ganzes bedeutet. Der Gesamtwert, und damit auch die gesamte Kaufkraft, wächst dadurch nicht an.

Angenommen, dass die Länge des Arbeitstages, der Wert der Ware Arbeitskraft und die Intensität des Arbeitsprozesses gleich bleiben, dann bleibt auch die Mehrwertrate die gleiche. Nach Marx entspricht unter Voraussetzung eines geschlossenen kapitalistischen Systems aller Mehrwert dem unbezahlten Teil der gesamten gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit und der gesamte Profit dem gesamten Mehrwert. Wenn der Kapitalist mit der höheren Arbeitsproduktivität nicht mehr Mehrwert produziert, aber einen höheren Profit erzielt, was ist die Quelle dieses Extraprofits? Für Marx gibt es per definitionem keinen Wert, der außerhalb des Produktionsprozesses geschaffen wird 1. Kein Mehrwert entspringt der Zirkulationssphäre, in welcher die Waren, die aus dem Produktionsprozess hervorgegangen sind, gekauft und verkauft werden, um entweder verzehrt oder als neue Rohstoffe wieder in den Produktionsprozess eingebracht zu werden. Innerhalb der Zirkulationssphäre wird kein Wert geschaffen, er wird nur neu verteilt. Der Markt belohnt den Kapitalisten, der den Wert einer Ware unter den gesellschaftlichen Durchschnitt drückt. Aber er belohnt ihn mit Wert, der von woanders kommt: entweder von den Konkurrenten, die gezwungen sind, weniger als den Wert der Arbeitszeit, die in ihre Produkte geflossen ist, zu akzeptieren, oder von den Käufern, die weniger Wert im Austauschprozess erhalten.

Aber die Jagd nach technischen Innovationen geht weiter.

Historisch war diese Belohnung so reich, dass die Jagd nach dem Extraprofit zum beherrschenden Antrieb für den kapitalistischen Akkumulationsprozess wurde. Als Folge daraus wurde der Kapitalismus zum fruchtbarsten Boden für technologische und wissenschaftliche Innovation, den es je gegeben hatte. Nicht nur hat jeder Kapitalist einen starken Anreiz für technologische Innovationen (den relativen Mehrwert), er ist auch gezwungen, sie einzusetzen. Diejenigen Kapitalisten, die nicht mitziehen, produzieren Waren mit einem Wertanteil, der höher ist als der gesellschaftlich durchschnittliche Marktwert. Deshalb machen sie einen unterdurchschnittlichen Profit und gehen pleite, wenn die Differenz weiter wächst. Der Extraprofit verschwindet, wenn die produktivitätssteigernde Innovation sich verbreitet und Bestandteil der gesellschaftlichen Norm wird. Aber die Jagd nach technischen Innovationen geht weiter. Kapitalisten, wie auch ganze Sektoren und Länder, denen es gelingt, überdurchschnittlich hohe Produktivitätszuwächse aufrechtzuerhalten, erzielen kontinuierlich Extraprofit, der woanders seinen Ursprung als Mehrwert hat.

Die Konzentration auf Extraprofit durch technologische Innovation und ihre Begleiterscheinungen – den Wertverlust der Ware Arbeitskraft und damit den Anstieg des relativen Mehrwerts – veränderte die Gesellschaft grundlegend. Ein neuer, spezifisch kapitalistischer Produktionsprozess begann, Gestalt anzunehmen. Marx nannte dies „den Übergang zur reellen Subsumtion der Arbeit“, weil die Technologie es dem Wertgesetz erlaubte, tief in den Arbeitsprozess einzudringen. Der Kapitalismus beherrschte nicht mehr nur formell die überlieferten Produktionsprozesse, sondern gestaltete sie vollständig um. Ermöglicht wurde das durch Wissenschaft und Technologie, deren eigene Entwicklung wiederum immer mehr vom Wertgesetz bestimmt wurde, von der Reduktion gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit zum Zweck der Extraprofitaneignung.

Nach und nach veränderte sich der Produktionsprozess vollständig. Zuvor hatte der Arbeiter im Zentrum gestanden, seine Werkzeuge waren die Verlängerung seiner Gliedmaßen. Aber nun wurde das Verhältnis umgekehrt, der Arbeiter wurde zum Anhängsel der Maschine, die ihm die Arbeitsgeschwindigkeit und alle Handlungen diktierte und jede Bewegung als ein Quantum gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit messbar machte.

Auf den ersten Blick hat diese Entwicklung nur Vorteile für den Kapitalismus. Sie entfesselt eine gewaltige Steigerung der Produktivität, des Vermögens zur Schaffung wirklichen Reichtums. Das wiederum ermöglicht es, den Teil des Arbeitstages, der für die notwendige Arbeit aufgewendet wird (notwendig für die Reproduktion der Ware Arbeitskraft), zu verkleinern und damit den Teil, der mit Mehrarbeit ausgefüllt ist und in dem Mehrwert geschaffen wird, zu vergrößern. Weiterhin versetzt sie den Kapitalismus in die Lage, sein Reich auszudehnen, im Inneren wie auch nach außen, und die ganze Welt nach seinem Bilde umzugestalten.

Während der Übergang zur reellen Subsumtion ein langwieriger historischer Prozess ist, der bis heute andauert, kommt sein theoretischer Endpunkt – eine Welt, in der das Wertgesetz den gesamten Planeten und alle Aspekte der Gesellschaft durchdringt, jedes Ding und jede Handlung in eine Ware verwandelt und alles gesellschaftliche, politische oder kulturelle Leben nahtlos in die Struktur des Marktes einfügt – der Welt, in der wir heute leben, erschreckend nahe.

So vorteilhaft dieser Übergang für die Durchsetzung des Wertgesetzes auch war, hat er dennoch die Harmonie innerhalb der Wertproduktion erschüttert.

„Nach der einen Seite hin ruft es [das Kapital] also alle Mächte der Wissenschaft und der Natur (...), um die Schöpfung des Reichtums unabhängig (relativ) zu machen von der auf sie angewandten Arbeitszeit. Nach der andren Seite will es diese so geschaffnen riesigen Gesellschaftskräfte messen an der Arbeitszeit, und sie einbannen in die Grenzen, die erheischt sind, um den schon geschaffnen Wert als Wert zu erhalten.“ (Grundrisse, 593)

Gebrauchswert und Tauschwert, die beiden Seite der Ware, treten auseinander. Die Gebrauchswerte wachsen exponentiell durch die Technisierung, ein Prozess, in dem menschliche Arbeit abgezogen und durch Technologie ersetzt wird. Aber um Wert zu schaffen, bedarf es menschlicher Arbeitskraft. Die exponentiellen Wachstumsraten der Gebrauchswerte kollidierten auch mit der schmalen Basis, auf der die Konsumbedingungen im Kapitalismus aufruhen. Der Kapitalismus ist aus der Knappheit geboren und benötigt sie. Überfluss bekommt ihm nicht, denn im Kapitalismus kann Überfluss nur Überproduktion bedeuten. Ohne Knappheit kann er nicht „den schon geschaffnen Wert als Wert (...) erhalten“.

Der unvermeidliche Fall der Profitrate

2.

Der Keim für die periodisch auftretende Selbstzerstörung von Kapital liegt schon in der Wertform selbst, aufgegangen ist er aber erst mit dem Übergang zur reellen Subsumtion. Produktivität wird nun nicht mehr durch die Menge der verausgabten Arbeitskraft bestimmt, sondern durch die Anwendung von Wissenschaft und Technik, die vom Gesamtarbeiter in Bewegung gesetzt wird. Durch die Produktivkraftentwicklung treten zwei widersprüchlichen Tendenzen auf: Einerseits verlängert die erhöhte Produktivität den unbezahlten Teil des Arbeitstages (relativer Mehrwert), andererseits verringert sie den Anteil lebendiger Arbeit, von der wiederum nur ein Teil Mehrwert schafft. Während manchmal die erste Tendenz stärker ist und die Profitrate steigt, dominiert auf längere Sicht die Tendenz zum Fall der Profitrate, weil es keine immanente Untergrenze für den Wert einer Ware gibt, so dass der Produktionsprozess auf Grundlage geronnener Arbeit [konstantes Kapital] mit immer weniger lebendiger Arbeit weiterlaufen kann.

Für den relativen Mehrwert dagegen gilt: Die Schranke des Kapitals bleibt „immer ... das Verhältnis zwischen dem Bruchteil des Tages, der die notwendige Arbeit ausdrückt, und dem ganzen Arbeitstag. Innerhalb dieser Grenzen kann es sich allein bewegen.“ (Grundrisse, 246).

Daher kann auf lange Sicht die Steigerung der Mehrwertrate den tendenziellen Fall der Profitrate nicht aufhalten. Was den Kapitalisten als Heilmittel erscheint, lässt den Kapitalismus nur stärker kranken. Angesichts einer fallenden Profitrate ist der Anreiz für den Kapitalisten, den Wert einer individuellen Ware unter ihren gesellschaftlichen Durchschnitt zu senken, umso größer. Indem er dies tut, reduziert er aber den Anteil lebendiger Arbeit, von der der Mehrwert ja wiederum nur ein Teil ist, weiter.

Die Verringerung des Anteils lebendiger Arbeit am Produktionsprozess bedeutet, dass immer weniger von ihr immer mehr geronnene Arbeit in Bewegung setzt. Die Ware enthält immer weniger Wertsubstanz, und der Teil der Wertsubstanz, in dem lediglich das Produkt vergangener Arbeit konsumiert wird, wird immer größer im Verhältnis zu neuer lebendiger Arbeit. Das bedeutet auch, dass immer mehr vergangene, geronnene Arbeit erforderlich ist, um lebende Arbeit, die Quelle des Werts, einzusetzen. Immer mehr Kapital wird benötigt, um die Produktivkräfte in Bewegung zu setzen; die Schwelle für die Kapitalbildung wird beständig angehoben. Wenn diese Schwelle überschritten wird, bleiben Produktivkräfte, die angewendet worden wären, als die Schwelle noch niedriger war, ungenutzt.

Aber während die Technisierung der Produktion (oder die „wachsende organische Zusammensetzung des Kapitals“, das Verhältnis von geronnener Arbeit und lebendiger Arbeit) die Wertschöpfung verlangsamt, verbilligt sie neben allen anderen Waren auch diejenigen, die für den nächsten Produktionszyklus gebraucht werden. Insofern erfordert diese nächste Runde relativ gesehen weniger Wert als die vorherige. Wie wir gesehen haben, verringert die Verbilligung von Konsumgütern den relativen Wert der Löhne (selbst wenn mehr Gebrauchswerte gekauft werden) und erhöht so den relativen Mehrwert. Die Verbilligung von Produktionsgütern (oder konstantem Kapital) hingegen schafft nicht automatisch mehr Wert für das Kapital, aber indem sie den Bedarf an Wert für den nächsten Produktionszyklus verringert, wirkt sie zugleich auch dem Druck der steigenden organischen Zusammensetzung des Kapitals auf die Profitrate entgegen.

Dennoch muss der Wert wachsen, selbst wenn die Produktionskosten fallen. Kapitalismus ist Produktion um des Profits willen, und der Profit „drückt den Ueberschuß des Werths des Products über den Werth der gesammten Produktionskosten aus, also in der That den Zuwachs von Werth, den das Gesammtcapital am Ende des Productions- und Circulationsprocesses über den Werth erhalten hat, den es vor diesem Productionsproceß, als es in ihn einging, besaß.“ (Zur Kritik der politischen Ökonomie. Manuskript 1861-1863, MEGA, 2.Abt, 3.5, S.1620)

Der Wert des vorgeschossenen Kapitals muss sich erhöhen, das ist der Zweck des ganzen Unternehmens. Die Entwertung konstanten Kapitals spart den Kapitalisten, die es kaufen müssen, Geld, aber denjenigen, die es verkaufen, schmälert es ihre Einnahmequelle, da es die Tatsache ausdrückt, dass seine Produktion weniger lebendige Arbeit erfordert hat. Das für seine Produktion vorgeschossene Kapital verzeichnet einen Verlust, seine Profitrate fällt, und durch die Logik des Marktes verteilt die tendenzielle Angleichung der Profitraten den Verlust auf die gesamte Ökonomie 2.

Reelle Subsumtion bedeutet Produktivitätssteigerung, die auf einer Reduktion der zur Produktion gesellschaftlich notwendigen Arbeit fußt, auf einer relativen Reduzierung der Wertschöpfung. Derselbe Prozess erklärt auch, warum zur Anwendung weiterer Arbeitskraft mehr geronnene Arbeit erforderlich ist; warum die Schwelle des Kapitals beständig angehoben wird. Im heutigen Kapitalismus beinhalten diese „Einstiegskosten“ nicht nur die Produktionskosten – tatsächlich sind diese im Vergleich zu anderen Kosten eher gesunken. Für Autos sind sie auf weniger als 60 Prozent der Gesamtkosten gesunken (im Vergleich zu 85 Prozent im Jahr 1925), für Halbleiter auf 14 Prozent. Große Marketingausgaben sind heutzutage notwendig, um mit anderen Anbietern konkurrieren zu können. Ein Unternehmen wie Nike bezahlt den Prominenten, die in seinen Werbekampagnen auftreten, erheblich mehr als den Arbeitern, die die Schuhe herstellen. Diese unproduktiven Einstiegskosten beinhalten außerdem – über die Steuerausgaben - einen Teil der faux frais, die der Kapitalismus auf sich nehmen muss, um die Gesellschaft im Griff zu behalten. Die sich beständig erhöhende Schwelle schließt eine Tendenz zur wachsenden Konzentration des Kapitals mit ein.

Der Fall der Profitrate einerseits und die immer höhere Schwelle zur Kapitalbildung andererseits machen Krisen zu einer Notwendigkeit für die Aufrechterhaltung der kapitalistischen Akkumulation. Krisen führen zur Entwertung existierender Kapitale. Auch wenn das für diese desaströs ist, bedeutet die Entwertung auch, dass der Wert der Produktivkräfte, insbesondere des konstanten Kapitals, im Verhältnis zum Wert, der durch ihre produktive Konsumtion geschaffen wird, fällt. Krisen erneuern deshalb die Profitrate und damit die Bedingungen für einen neuen Akkumulationszyklus.

Deshalb schreitet der tendenzielle Fall der Profitrate eher in Zyklen fort als in einem linearen Prozess, der den Kapitalismus eines Tages an den kritischen Punkt x führt, an dem Akkumulation unmöglich wird. Er erklärt deshalb auch nicht, warum eine Krise eines Tages zum globalen Zusammenbruch der Ökonomie führt, vor allem auch deshalb nicht, weil er nicht alle Kapitale im selben Maß beeinträchtigt. Die Konkurrenz auf den Märkten beeinflusst die Neuverteilung des Mehrwerts, was die stärkeren Konkurrenten, diejenigen, die besser als andere dazu in der Lage sind, ihre Produkte unter dem Marktwert auf den Markt zu bringen, mit Extraprofit belohnt. Krisen beeinträchtigen daher die schwächeren Konkurrenten zuerst, und ihr Zusammenbruch stärkt die ihnen überlegenen Kapitale, die sie zu einem Schnäppchenpreis aufkaufen und ihren Marktanteil übernehmen können.

Zudem ist die tendenzielle Verringerung des in der Produktion geschaffenen Mehrwertes nicht das einzige Akkumulationshindernis, das aus dem Widerspruch zwischen Tauschwert und Gebrauchswert innerhalb der Wertform erwächst.

Wie dieser Widerspruch die Realisierung des Werts beeinflusst

Die Akkumulation des Kapitals ist ein Prozess der Selbstausdehnung, in dem Mehrwert produziert und dann auf eine Art und Weise realisiert wird, die mehr Mehrwert produziert. Marx analysierte, hauptsächlich im zweiten Band des Kapital, wie dieser Zyklus der Selbstausdehnung funktioniert. Es kann kaum überraschen, dass dies der einzige Teil seiner Theorie ist, der ihm Lob seitens bürgerlicher Ökonomen einbrachte. Sie sahen in ihm einen Beweis für ihre Annahme, dass der Kapitalismus beständig wachsen kann. Aber nicht alle Marxisten stimmten Marx zu. Rosa Luxemburg behauptete, dass der Kapitalismus nur expandieren kann, wenn der für die Expansion bestimmte Mehrwert außerhalb des Kapitalismus, auf außerkapitalistischen Märkten realisiert wird. Ihre grundsätzliche Verwirrung bestand darin, dass sie das Verwertungsproblem des einzelnen Kapitalisten auf das Kapital insgesamt verschob. Der Kapitalist kann, wenn er seinen Mehrwert benutzen will, um seine Produktion auszudehnen, nicht alles selber konsumieren. Er muss ihn verkaufen, um ihn in Geld zu verwandeln, mit welchem er neue Produktionsgüter und neue Arbeitskraft kaufen kann. Er braucht einen Käufer von außerhalb. Das wäre jedoch nicht der Fall, wenn er all die Produktions- und Konsumgüter selbst produziert hätte, die er zur Reproduktion seines Kapitals auf erweiterter Stufenleiter benötigt. Das gilt aber für das Gesamtkapital. Sein Mehrwert beinhaltet all die Elemente, die es braucht, um sich auszudehnen. Es benötigt deshalb an sich keinen außen stehenden Käufer. Was es allerdings braucht, ist reibungslose Zirkulation dieser Elemente innerhalb des Kapitalismus. Es braucht Geld, um in einer Geschwindigkeit zu wachsen, die es in Balance hält mit dem Wachstum der Werte, die es in Umlauf bringt.

Doch anstatt zu zeigen, dass der Kapitalismus unendlich wachsen kann, führt Marx’ Analyse der Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter zu der Schlussfolgerung, dass diese Erweiterung auf verschiedene Arten von Gleichgewicht angewiesen ist, Proportionalitäten in der Produktion und Zirkulation, deren Zusammenbruch die Akkumulation behindert. Dieses Gleichgewicht wird durch den Gang des Wertgesetzes, durch die gegenseitige Bestimmung von Produktion und Markt erreicht (4???). Ihr Zusammenbruch ist eine beständige Möglichkeit, aber die Tendenz hin zu einem Gleichgewicht ist ebenso beständig, solange die kapitalistische Entwicklung und das Wertgesetz sich in Harmonie befinden, solange die Schaffung von Tauschwerten und Gebrauchswerten Hand in Hand gehen. Je mehr die reelle Subsumtion voranschreitet, desto weniger ist das der Fall. Das exponentielle Wachstum der Gebrauchswerte macht die Realisierung der Tauschwerte, die sie beinhalten, zunehmend problematisch. "Die Selbstverwertung des Kapitals wird schwieriger in dem Maße, wie es schon verwertet ist." (Grundrisse, 246.)

Ich werde in aller Kürze die drei Arten von Gleichgewicht untersuchen, die für die Akkumulation des Kapitals wesentlich sind: zwischen den Sektoren der Produktion, zwischen produktiver und unproduktiver Konsumtion sowie zwischen Geld und allen anderen Waren.

1. Das Gleichgewicht zwischen den Sektoren der Produktion

Es muss zwischen jedem Sektor der Produktion und dem Rest der Ökonomie ein Gleichgewicht geben, aber die symbiotische Entwicklung kann am klarsten untersucht werden, wenn wir kapitalistische Produktion in Abteilung I (die Produktion von Produktionsgütern) und Abteilung II (die Produktion von Konsumgütern) unterteilen. Für das Wachstum des Gesamtkapitals ist ein Gleichgewicht zwischen den beiden Abteilungen notwendig, und zwar nicht nur hinsichtlich der Tauschwerte, sondern auch der Gebrauchswerte.

„Die Rückverwandlung eines Teils des Produktenwerts in Kapital, das Eingehn eines andern Teils in die individuelle Konsumtion der Kapitalisten- wie der Arbeiterklasse bildet eine Bewegung innerhalb des Produktenwerts selbst, worin das Gesamtkapital resultiert hat; und diese Bewegung ist nicht nur Wertersatz, sondern Stoffersatz, und ist daher ebenso sehr bedingt durch das gegenseitige Verhältnis der Wertbestandteile des gesellschaftlichen Produkts wie durch ihren Gebrauchswert, ihre stoffliche Gestalt.“ (MEW 24, 393)

Wenn Abteilung I mehr konstantes Kapitals produziert als sie selbst und Abteilung II für ihre Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter benötigen, sitzt sie auf einem unverkäuflichen Überschuss fest. Der Wert, der in die Produktion gewandert ist, ist sowohl für den Kapitalisten als auch für das Gesamtkapital verschwendet. Gleichermaßen ist die Reproduktion der Abteilung II gebunden an die Nachfrage der Abteilung I. Das bedeutet nicht, dass beide mit derselben Rate wachsen müssen. Angesichts der Technisierung (des Wachstums der organischen Zusammensetzung des Kapitals) im Zuge der reellen Subsumtion muss die Abteilung I schneller wachsen als die Abteilung II und der relative Teil seines Mehrwerts, welcher in derselben Abteilung realisiert wird, wächst daher gleichermaßen. Der Markt hält dieses dynamische Gleichgewicht aufrecht, indem er Überproduktion mit Entwertung bestraft und Investitionen in unterkapitalisierte Märkten belohnt. Indem er Kapital bewegt und Arbeitskraft zuteilt.

Je mehr sich der Kapitalismus entwickelt, desto verschwenderischer wird er.

Aber im Zuge der reellen Subsumtion, deren treibende Kraft die Jagd nach Extraprofit ist, gerät das Verhältnis aus dem Gleichgewicht. Kapitalisten expandieren, als wäre ihr Markt unbegrenzt. Diese Tendenz „tritt zwar schon ein mit der formellen Subsumtion der Arbeit unter das Kapital, sobald es überhaupt unmittelbarer Zweck der Produktion wird, möglichst großen und möglichst viel Mehrwert zu produzieren, sobald überhaupt der Tauschwert des Produkts der entscheidende Zweck wird. Indes realisiert sich diese dem Kapitalverhältnis immanente Tendenz erst in adäquater Weise – und wird selbst eine notwendige Bedingung, auch technologisch – sobald sich die spezifisch kapitalistische Produktionsweise und mit ihr die reelle Subsumtion der Arbeit unter das Kapital entwickelt hat.“ Von nun an gilt, „dass die Stufenleiter der Produktion nicht nach gegebenen Bedürfnissen, sondern umgekehrt die Masse des Produkts durch die durch die Produktionsweise selbst vorgeschriebene und stets wachsende Stufenleiter der Produktion bestimmt wird“. (Resultate, 63)

Je mehr sich der Kapitalismus entwickelt, desto verschwenderischer wird er. Wie und warum ignorieren Kapitalisten, was der Markt ihnen verrät? Zwar können sie das nur in gewissen Grenzen, die ihnen durch die Größe ihrer Extraprofite gesetzt sind. Kapitalisten heben die organische Zusammensetzung ihres Kapitals und damit ihre produktiven Kapazitäten für den erzielten Extraprofit an, wenn sie den individuellen Wert ihres Produktes unter den Marktwert senken. Sie können ein bisschen Überproduktion verkraften und immer noch an der Spitze stehen. Und ihre Konkurrenz ist gezwungen, aus reiner Selbsterhaltung genauso zu handeln.

Wie beeinflusst dies das Gleichgewicht zwischen den Abteilungen? Extraprofite erhält man durch Technologisierung. Ihr größeres immanentes Vermögen zu technologischer Veränderung verschafft Abteilung I einen Vorsprung. Innovationen haben die Tendenz, sich von Abteilung I zu Abteilung II zu bewegen. Dieser Vorteil ist schon ein Quell von Extraprofit und daher eine Ursache für Überakkumulation in Abteilung I. Aber die Hauptursache, welche die Abteilung I im Zuge der reellen Subsumtion zur Überakkumulation treibt, ist die Konkurrenz, die den Kapitalisten dazu zwingt, neue Technologien zu kaufen, die seine Produktivität steigern, auch wenn die von ihm benutzten Maschinen bei weitem noch nicht abgenutzt sind. Diese Maschinen haben nur einen Teil ihres Wertes an neue Waren abgegeben, doch verlieren sie allen verbleibenden Wert. Marx nannte dies „moralischen Verschleiß“. Für das Kapital als Ganzes unterscheidet sich dies nicht wirklich von Überproduktion. Je mehr die Durchsetzung der reellen Subsumtion voranschritt, desto mehr wurde der „moralische Verschleiß“ ein massives Problem, welches sich in Zeiten schnellen technologischen Wandels verstärkte. Zum Beispiel hat sich in den vergangenen Jahrzehnten die Leistungsfähigkeit von Computerchips ungefähr alle drei Jahre vervierfacht, was bedeutet, dass Firmen, um konkurrenzfähig zu bleiben, ihre Computersysteme regelmäßig und lange bevor sie tatsächlich abgenutzt sind, austauschen müssen. Das durch den Markt hergestellte Gleichgewicht zwischen den Abteilungen der Produktion beeinträchtigt in zunehmendem Maße das Gleichgewicht, das für ihre ausgeglichene symbiotische Entwicklung erforderlich ist.

2. Das Gleichgewicht zwischen produktiver und unproduktiver Konsumtion

Produktive Nachfrage ist begrenzt. Sie wächst nicht automatisch, nur weil die Produktivität wächst. Wenn zum Beispiel die Produktivität eines Messerherstellers wächst, während die aller anderen gleich bleibt, überproduziert der Messerhersteller entweder oder er gewinnt neue Kunden zu Lasten anderer Produzenten oder er findet neue Märkte, aber keine der letzten beiden Optionen hängt, wie Marx festhält, von seinem guten Willen ab und ebenso wenig vom bloßen Vorhandensein einer größeren Menge von Messern. Und wenn alle anderen Kapitale mit der gleichen Rate akkumulieren wie der Messerhersteller, würde daraus keineswegs folgen, dass sie auch nur ein Prozent mehr Messer benötigen, denn ihre Nachfrage nach diesen hat weder mit der Vermehrung ihres eigenen Produkts zu tun noch mit ihrer größeren Kaufkraft, die es ihnen erlauben würde, mehr Messer zu kaufen (vgl. MEW 26.3, 114).

Produktive Nachfrage ist Nachfrage nach Produktionsgütern (konstantem Kapital) und nach Konsumgütern, die Arbeiter brauchen, um ihre Arbeitskraft zu erhalten. Die Endlichkeit der Konsumgüter ist am deutlichsten. Die beständige Verminderung des Wertes der Waren, die den Wert der Arbeitskraft bestimmen, hat das Anwachsen dieser Warenmenge ermöglicht, und es wurde sogar notwendig durch die Art und Weise, wie die reelle Subsumtion die Gesellschaft und damit auch die Bedürfnisse verändert hat. Aber trotzdem bleibt diese Warenmenge eine begrenzte, die nicht so sehr durch die Produktionsmöglichkeiten bestimmt ist als vielmehr durch das, was immer noch die grundlegenden menschlichen Bedürfnisse sind: Unterkunft, Essen, Gesundheit etc. Es gibt keinen Grund für den Kapitalisten, dem Arbeiter mehr als das zu zahlen, nicht, wenn er einen anderen Arbeiter finden kann, der willens ist, für nicht mehr als den Wert der Ware Arbeitskraft zu arbeiten. Die Kapitalisten, die Konsumgüter herstellen, hätten es gerne, wenn die Nachfrage aller Arbeiter über den Wert ihrer Arbeitskraft stiege, aber keiner von ihnen ist gewillt, auf Kosten seines eigenen Profits ein gutes Beispiel zu geben. Ganz im Gegenteil: Sein Antrieb ist es, die Löhne unter den Wert der Ware Arbeitskraft zu treiben. Sein Antrieb ist es, seine Produktivität zu steigern, mehr mit weniger lebendiger Arbeit herzustellen, und damit begrenzt er das Wachstum der Nachfrage nach Konsumgütern.

es gibt immer ein Bedürfnis nach mehr Waffen und Luxus und mehr Statussymbolen

Gleichzeitig steigert dies das Wachstum der Nachfrage nach konstantem Kapital. Das impliziert auch einen wachsenden Handel innerhalb von Abteilung I, wodurch sie für die Realisierung ihres Mehrwertes weniger abhängig wird von der Nachfrage aus Abteilung II. Trotzdem bedeutet das nicht, dass es für das Wachstum der Nachfrage nach konstantem Kapital keine Schranken gibt. Der Tauschwert bleibt an den Gebrauchswert gebunden und dadurch an den Endkonsumenten, unabhängig davon, wie viele Schritte im immer komplexer werdenden Produktionssystem sie trennen. „Die Produktion von konstantem Kapital [findet] nie seiner selbst wegen statt, sondern nur, weil mehr davon gebraucht wird in den Produktionssphären, deren Produkte in den individuellen Konsum eingehn“ (Das Kapital, Bd.3, MEW 25, 316f.). Auf diese Weise wird trotz des moralischen Wertverschleißes das exponentielle Wachstum der Gebrauchswerte auch ein Hindernis für die Verwertung des in Abteilung I produzierten Werts. „Je mehr sich aber die Produktivkraft entwickelt, um so mehr gerät sie in Widerstreit mit der engen Basis, worauf die Konsumtionsverhältnisse beruhen.“ (MEW 25, 255)

Unbegrenzt aber ist die mögliche Nachfrage nach Waren, die unproduktiv konsumiert werden. Nur die Vorstellung setzt eine Grenze für das Zur-Ware-Werden der Bedürfnisse, und es gibt immer ein Bedürfnis nach mehr Waffen und Luxus und mehr Statussymbolen. Zudem generiert die kapitalistische Gesellschaft im Zuge ihrer fortschreitenden Entwicklung einen Bedarf an allen Arten unproduktiver Arbeit und dadurch auch einen wachsenden Markt für unproduktiven Konsum. Aber niemand würde bestreiten, dass das Kapital zur Produktion von Gütern für den Bedarf der Bürokraten, der Polizei und der Armen, die keine Chance haben, jemals wieder eingestellt zu werden, aber trotzdem überleben wollen, aus der Besteuerung der restlichen Ökonomie kommt. Aus der gesamten Mehrwertmasse. Man könnte deshalb schwerlich sagen, dass es zur Akkumulation des Gesamtkapitals beitrüge. Um den Tauschwert einer Ware zu bestimmen, ist die Frage nach ihrem spezifischen Nutzen und danach, von wem sie konsumiert wird, irrelevant. Aber wenn man sich die Akkumulation des Gesamtkapitals ansieht, wird sie relevant. "Um zu akkumulieren, muß man einen Teil des Mehrprodukts in Kapital verwandeln. Aber, ohne Wunder zu tun, kann man nur solche Dinge in Kapital verwandeln, die im Arbeitsprozeß verwendbar sind, d.h. Produktionsmittel, und des ferneren Dinge, von denen der Arbeiter sich erhalten kann, d.h. Lebensmittel. Folglich muß ein Teil der jährlichen Mehrarbeit verwandt worden sein zur Herstellung zusätzlicher Produktions- und Lebensmittel, im Überschuß über das Quantum, das zum Ersatz des vorgeschossenen Kapitals erforderlich war. Mit einem Wort: der Mehrwert ist nur deshalb in Kapital verwandelbar, weil das Mehrprodukt, dessen Wert er ist, bereits die sachlichen Bestandteile eines neuen Kapitals enthält." (Das Kapital, Bd.1, MEW 23, 606f.)

Dennoch ist unproduktive Konsumtion „eine absolute Notwendigkeit für eine Produktionsweise, die den Reichtum für die Nicht-Produzenten produziert, also ihm notwendige Formen geben muss, worin er von dem bloss geniessenden Reichtum aneigenbar“ (Resultate, 71). Aufgrund der Begrenztheit der produktiven Nachfrage kann nicht aller Wert in Neuinvestitionen fließen. Akkumulation erfordert, dass ein Teil des geschaffenen Wertes die Form von Gebrauchswerten annimmt, die speziell auf den Genuss der Reichen ausgerichtet sind. Mit stetig steigender Produktivität wächst das Mehrprodukt kontinuierlich, und der Teil des Mehrproduktes, der unproduktiv konsumiert wird, kann ebenso wachsen. Und das muss er, damit der in seiner Produktion geschaffene Mehrwert verwertet wird und wieder in den Zirkulationsprozess des Kapitals eintreten kann. Aber es ist wiederum eine Balance zwischen Tausch- und Gebrauchswerten notwendig, da das Wachstum des unproduktiven Konsums begrenzt ist durch das Wachstum der Mehrwertproduktion. Daher kann es eine Verringerung des letzteren nicht kompensieren. Weniger produktive Konsumtion bedeutet weniger Mehrwertproduktion und damit auch weniger für die unproduktive Konsumtion verfügbarer Mehrwert.

Heutzutage zeigen die uns umgebenden Industrieleichen die Realität moralischen Wertverschleißes

Theoretisch ist ein ideales Gleichgewicht zwischen produktiver und unproduktiver Konsumtion möglich, so wie auch zwischen Abteilung I und Abteilung II. Tendenziell wird es durch Marktzwänge hergestellt, aber die reelle Subsumtion führt in beiden Fällen zu einem wachsenden Ungleichgewicht. Wir haben zuvor gesehen, wie die Jagd nach Extraprofit eine strukturelle Überakkumulation von Produktionsgütern und eine wachsende Vernichtung von Wert hervorbrachte. Heutzutage zeigen die uns umgebenden Industrieleichen die Realität moralischen Wertverschleißes, die Instabilität des Wertes.

Die Überausweitung der unproduktiven Konsumtion ist auch ein Kennzeichen reeller Subsumtion. Seit dem Übergang zu ihr gab es eine konstante Ausweitung des öffentlichen Sektors (nicht nur in seiner absoluten Größe, sondern auch als Teil der Nationalökonomie), der nicht vollständig, aber zum größten Teil unproduktiv ist. Er konsumiert einen immer größeren Teil der gesamten Wertmasse, schafft aber größtenteils keine. Kapitalisten geben einen immer größer werdenden Teil ihres Budgets für Posten aus, die den Waren keinen Wert hinzufügen (Marketing, Versicherung etc.), aber in ihren Preis einberechnet werden müssen. Reelle Subsumtion erfordert immer mehr unproduktive Kosten, um die von ihr selbst hervorgebrachten Hindernisse zu bewältigen.

Der Übergang zu reeller Subsumtion ist nicht nur ein Expansionsprozess, der das Reich des Wertes ausdehnt und ihm die ganze Welt einverleibt, es ist auch ein Prozess, der lebendige Arbeitskraft aus der Produktion ausschließt. Er schließt ein, wie er ausschließt. Gegenwärtig hat er mehr als zwei Milliarden potentieller Arbeiter vom Arbeitsmarkt geworfen. Durch das Management von sozialen Unruhen und Pandemien etc. der Überflüssigen entstehen unproduktive Kosten, die ständig steigen. Und dies ist nur ein kleiner Teil der unproduktiven Kosten, die der Kapitalismus für das Überwachen und Strafen, die Isolierung, das Einschläfern, Einsperren und Täuschen, für die Erschießung und Zerstörung von Überflüssigen aufbringen muss. Je weiter sich der Widerspruch zwischen Tauschwert und Gebrauchswert verschärft, desto klarer treten der tendenzielle Fall der Profitrate und die Endlichkeit produktiver Konsumtion hervor, und umso mehr unproduktive Kosten muss der Kapitalismus auf sich nehmen, um seinen Zugriff auf die Gesellschaft zu erhalten.

3. Das Gleichgewicht zwischen Geld und allen anderen Waren

„Die Ware hüllt den Gegensatz von Gebrauchswert und Tauschwert ein. Dieser Gegensatz entwickelt sich weiter, stellt sich dar, realisiert sich als die Verdopplung der Ware in Ware und Geld.” (Theorien über den Mehrwert, MEW 26.3, 84)

Diese Verdoppelung begann, als das Geld zum Mittelglied in der Zirkulation von Gütern wurde, als der Austausch von Waren W-W zu W-G-W wurde. Der gesamte Wert der Produktion nahm nun die Form von Waren und Geld an, die allgemeine, universelle Ware wurde zum Ausdruck des Tauschwertes gegenüber allen anderen Waren. Diese Verdoppelung bedeutet nicht eine Verdoppelung des Wertes. Geld ist keine Quelle des Wertes, sondern sein Ausdruck. Der Wert des zirkulierenden Geldes in der Zirkulation ist identisch mit dem Wert der zirkulierenden Waren, was sich daran zeigt, dass Geld an Wert verliert und Inflation eintritt, wenn die zirkulierende Geldmenge schneller wächst als der zirkulierende Warenwert.

Die Gesellschaft reproduziert sich durch den Zyklus W-G-W, welcher von einem anderen Anfangspunkt aus betrachtet gleichbedeutend ist mit G-W-G. Das ist des Pudels Kern der Akkumulation: Geld wird in produktive Waren umgewandelt, nur um wieder (mehr) Geld zu werden. Im Kreislauf W-G-W dient Geld nur als Tauschmittel und verbleibt beständig in der Zirkulation, während Waren durch Konsum diesem Kreislauf entzogen werden. Aber im Kreislauf G-W-G ist Geld nicht mehr ein Mittel des Tausches, sondern Selbstzweck. Es zeigt sich, dass Geld mehr ist als bloßes Zirkulationsmittel, es kann aus diesem Prozess heraustreten und eine anscheinend unabhängige Existenz als Wertträger führen. Es zeigt sich, dass Geld nicht nur eine allgemeine Ware ist, die den Tausch vermittelt, sondern auch eine besondere Ware, die der Zirkulation entzogen werden kann wie jede andere auch.

Aber warum verliert das Geld nicht seinen Wert, wenn es von der Zirkulation entkoppelt wird, wo es doch als bloßes Papier, oder als ganz immaterielle Existenz, gar keinen eigenen Wert hat? Die Antwort lautet, dass die Wertmasse der kapitalistischen Ökonomie nicht nur aus Werten in der Zirkulation besteht, sondern auch aus Finanzkapital, welches im Wesentlichen latent produktives Kapital ist, das sich zu einem späteren Zeitpunkt in Produktionsgüter zurückverwandelt. Weil es, über einen längeren Zeitraum betrachtet, neuen Wert hervorbringt, drückt es weiterhin realen Wert aus, auch wenn es vorübergehend der Zirkulation des Werts den Rücken kehrt. Dieses latent produktive Kapital ist für die Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter absolut notwendig – man stelle sich einen Kapitalismus ohne Rücklagen und Kredit vor! -, und sein Umfang wird sogar größer angesichts der anwachsenden organischen Zusammensetzung des Kapitals, des Umfangs der Produktion und der Schwelle der Kapitalbildung in der Phase der reellen Subsumtion.

Wiederum ist in der Theorie ein ideales Gleichgewicht zwischen Geld einerseits und dem zirkulierenden Wert plus dem Wert des latent produktiven Kapitals andererseits möglich. In Wirklichkeit wird es jedoch kaum erreicht. Die ursprüngliche Form des Geldes, Edelmetall, setzte einem unausgeglichenen Wachstum Grenzen, machte seinen Umfang jedoch abhängig vom Ertrag der Gold- und Silberminen statt von den Anforderungen der Wertzirkulation. Papiergeld, dessen „Wert“ durch den Staat gesetzt wurde, beseitigte diese der Geldbildung von außen aufgezwungene Schranke, machte aber sein unausgeglichenes Wachstum quasi unausweichlich, weil der Staat versuchte, seine Probleme zu lösen, indem er sie mit Geld bewarf. Aber der Markt bestraft diese Praxis durch Entwertung des Geldes. Die Erfahrung, dass die Inflation die Ökonomie zu Schanden reiten kann, ist so allgemein, dass es kaum einer detaillierten Erklärung bedarf.

Die erste Phase des Sturms ist die massive Schaffung von fiktivem Kapital.

Aber das Ungleichgewicht entsteht nicht nur durch das exzessive Anwachsen der zirkulierenden Geldmenge. Der Geldschatz kann auch weit über die latenten Produktionskapazitäten der Ökonomie hinaus wachsen. Das geschieht, wenn der Fall der Profitrate, die strukturelle Überproduktion der Technologie, die Erschöpfung produktiver Nachfrage und das zunehmende Gewicht unproduktiver Konsumtion die Bedingungen für einen „perfekten Sturm“ schaffen.

Die erste Phase des Sturms ist die massive Schaffung von fiktivem Kapital. Im Zirkulationsprozess des Kapitals muss die Phase W-G, die Umwandlung von Waren in Geld, immer weiterlaufen. Der Besitzer einer Ware, sei es Technologie, Konsumgüter oder Arbeitskraft, kann nicht wählen, dieses Jahr nichts zu verkaufen. Aber die Phase G-W im selben Zirkulationsprozess, die Umwandlung von Geld in Waren, muss nicht notwendig ablaufen. Geld kann Geld bleiben. Es kann seinen Wert als Schatz parken. Es erscheint als die „unvergängliche Ware“, und je mehr den anderen Waren ihre Vergänglichkeit anhaftet, desto begehrenswerter wird das Geld.

Als besondere Ware, die mit allen anderen um die Gesamtnachfrage konkurriert, hat Geld von zweiter Natur aus einen Vorteil, denn es “befriedigt (...) jedes Bedürfnis, insofern es gegen das Objekt jedes Bedürfnisses ausgetauscht werden kann, ganz gleichgültig gegen jede Besonderheit. Die Ware besitzt diese Eigenschaft [der Austauschbarkeit] nur vermittels des Geldes. Das Geld besitzt sie direkt gegenüber allen Waren, daher gegenüber der ganzen Welt des Reichtums, dem Reichtum als solchen” (Grundrisse, 132).

Je mehr sich der Fall der allgemeinen Profitrate mit der Erschöpfung produktiver Nachfrage verbindet, desto geringer werden die Chancen, durch Verwandlung von Geld in Waren mehr Geld herauszubekommen. So sinkt der Anreiz, G-W zu vollziehen. Mehr Geld bleibt Geld. Der Anreiz, Waren in reine Tauschwerte zu verwandeln, ist stärker als der Anreiz, Tauschwert in Gebrauchswerte zurückzuverwandeln, was die produktive Nachfrage zusätzlich drückt. Die steigende Nachfrage nach Geldanlagen treibt deren Preise in die Höhe, was nicht nur zu bestätigen scheint, dass Geld eine unvergängliche Ware ist, sondern auch, dass sein Wert von selbst wachsen kann, was die Nachfrage zusätzlich verstärkt.

Diese Dynamik trifft als erstes die schwächsten Konkurrenten: Das Geld fließt von ihnen ab und ins Zentrum des ökonomischen Systems. Dessen globaler Charakter verschärft den Trend. Stephen Roach, Chefökonom bei Morgan Stanley, schätzte im Jahr 2004, dass 80 Prozent der weltweiten Nettospareinlagen in die USA geflossen sind. 3 Dort waren sie mehr als willkommen. Wie insbesondere der amerikanische und der britische Finanzsektor neue „Finanzprodukte“ erfanden, deren Preise aufblähten und dergestalt dem Bedürfnis nach einem sicheren Hafen für das globale Kapital entgegenkamen, wurde bereits an anderer Stelle ausführlich dokumentiert.4 Für sie ist das ziemlich profitabel gewesen. Aber man muss kein Marxist sein, um zu begreifen, dass das Schwindel erregende Wachstum des „Werts“ des Finanzkapitals, das sehr viel größer war als das Wachstum der Realökonomie, reif war für einen Reality-Check.

So beginnt die zweite Phase des Sturms, das Platzen der Blase. Der als Schatz angehäufte Wert erweist sich am Ende als doch nicht so unvergänglich. Das Ausbleiben der Produktion und Realisierung neuer Werte enthüllt seine Disfunktionalität als latent produktives Kapital. Je weiter sich dieser Widerspruch entwickelt, desto mehr muss er an Wert verlieren. Der existierende Wert, der als Schatz zwischengelagert wurde, kann sich nicht selbst als Wert erhalten. Die Kapitalistenklasse schlägt sich heute mit denselben Diskussionen herum, die sie schon 1930 führte: „Wir müssen gegen die Deflationsflut anschwimmen und die Nachfrage ankurbeln, so dass Wachstum in der Realwirtschaft Vertrauen in den Schatz wiederherstellt! Aber das geht nur durch Schulden, die uns erdrücken werden!“ Es ist etwas Wahres an beiden Argumenten. Aber es gibt keine Lösung für dieses Problem, weil das Interesse, G-W zu vollziehen, nicht erzwungen werden kann. Staatsausgaben können nicht die Profitrate erhöhen, sie können keine produktive Nachfrage erfinden. Dem Interesse, sich vor produktiven Investitionen in die Schatzbildung zu flüchten, kann nichts entgegengestellt werden. Jede Konjunkturbelebung belebt im gleichen Maße, wie sie erfolgreich ist, die Blase.

Dies führt zur dritten Phase des Sturms.

Der Stoffwechsel zwischen dem entwickelten Kapitalismus und seiner Umwelt

Der Kapitalismus ist nicht in einem Reagenzglas entstanden. Man kann kein klares Bild seiner Entwicklung und gegenwärtigen Verfasstheit zeichnen, ohne den Stoffwechsel zwischen dem Kapitalismus und der nicht-kapitalistischen Welt, in die er geboren wurde, sowie zwischen dem entwickelten Kapitalismus und den unterentwickelten Teilen der Welt zu berücksichtigen.

Das ursprüngliche Verhältnis lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Enteignung. Um Mehrwert zu produzieren, benötigte das Kapital Ressourcen. Um freien Zugang zu ihnen zu haben, mussten sie Warenform annehmen, zu konstantem und variablem Kapital werden. Der feudale Schoß, aus dem der Kapitalismus gekrochen war, musste vernichtet werden. Dieser Prozess war äußerst brutal: Rohstoffe wurden geplündert und unabhängige Produzenten ihrer Produktionsmittel beraubt, um sie dazu zu zwingen, Proletarier zu werden. Die Geschichte dieses Prozesses, bemerkte Marx, „ist in die Annalen der Menschheit eingeschrieben mit Zügen von Blut und Feuer“ (MEW 23, 743). Er bezeichnete ihn als „ursprüngliche Akkumulation“, weil er der auf Mehrwertproduktion basierenden wirklichen kapitalistischen Akkumulation logisch und – in groben Zügen – historisch vorausging und sie möglich machte. Er sah ihn als eine Krücke, die der Kapitalismus brauchte, um auf die Beine zu kommen. Danach brauchte er sie nicht mehr.

Gleichwohl ist die ursprüngliche Akkumulation, verstanden als Zufuhr von Wert aus anderen Quellen als der des Mehrwerts, nie an ein Ende gelangt. Da Plünderung ein hervorragendes Gegenmittel gegen den tendenziellen Fall der Profitrate darstellt, ist sie trotz Selbstausdehnung des Kapitalismus nicht aus der Mode gekommen. An den Sitten des Kapitalismus hat sich nichts geändert. Man schätzt, dass die Plünderung von Kautschuk und menschlichen Ressourcen im Kongo, die der belgische König Leopold II. Ende des 19. Jahrhunderts organisierte, zehn Millionen Menschen das Leben gekostet hat. Heute wird im Kongo zwar kein Kautschuk mehr ausgebeutet, aber es gibt dort wichtige Mineralien, deren Plünderung zu Kriegen führt und wiederum Millionen von Menschenleben fordert.

Das Verhältnis des Kapitalismus zur nichtkapitalistischen Welt bestand nicht nur in Enteignung, sondern auch in Austausch. Aufgrund seiner überlegenen Produktivität war dieser Austausch stets zu seinem Vorteil. Dasselbe gilt für den Austausch zwischen dem entwickelten Kapitalismus und seinen unterentwickelten Teilen, zwischen Kapital mit hoher organischer Zusammensetzung und hohem Produktivitätswachstum und Kapital mit niedriger organischer Zusammensetzung und niedrigem Produktivitätswachstum. Er beschert ersterem einen Surplus-Profit, „weil hier ... mit Waren konkurriert wird, die von andern Ländern mit mindren Produktionsleichtigkeiten produziert werden, so daß das fortgeschrittnere Land seine Waren über ihrem Wert verkauft (...) Ganz wie der Fabrikant, der eine neue Erfindung vor ihrer Verallgemeinerung benutzt, wohlfeiler verkauft als seine Konkurrenten und dennoch über dem individuellen Wert seiner Ware verkauft (...) Er realisiert so einen Surplusprofit.“ (MEW 25, 247f.)

Es durchdringt das Innere der Gesellschaft, indem es alles in eine Ware verwandelt

Doch die reelle Subsumtion und die mit ihr einhergehende Technologisierung der Gesellschaft erzeugt zwangsläufig eine Tendenz zu verstärktem Handel zwischen den entwickelten Kapitalen. Je technologisierter die Gesellschaft wird, umso mehr werden auch ihre Gebrauchswerte technologische Produkte eines komplexen Produktionsprozesses, so dass die Produkte zunächst der nichtkapitalistischen Produzenten und später auch der kapitalistischen Produktion mit niedrigerer organischer Zusammensetzung immer weniger Platz auf dem Markt finden. Mit der reellen Subsumtion nimmt der Stoffwechsel zwischen dem entwickelten Kapitalismus und nichtkapitalistischer oder auf niedriger organischer Zusammensetzung basierender Produktion folglich tendenziell ab; der Stoffwechsel kann dem Fall der Profitrate immer weniger entgegenwirken und verliert auch als Nachfragequelle an Bedeutung.

Die reelle Subsumtion erzeugt indes eine weitere zwangsläufige Tendenz, die den gegenteiligen Effekt hat: Sie impliziert eine stets höhere Stufenleiter der Produktion, die die Reichweite des Wertgesetzes vergrößert. Es durchdringt das Innere der Gesellschaft, indem es alles in eine Ware verwandelt und in unterschiedlichsten gesellschaftlichen Praktiken eine Quelle der Wertproduktion findet, und es richtet sich nach außen und dringt bis in die hintersten Winkel der Welt vor. Diese Ausdehnungsbewegung wirkt als solche den Widersprüchen des Kapitalismus entgegen, da sie den Stoffwechsel zwischen dem entwickelten Kapitalismus und seiner Umwelt verstärkt.

Doch obwohl es sich um eine zwangsläufige Tendenz handelt, stieß die Erweiterung der Stufenleiter kapitalistischer Produktion auf mehrere Hindernisse. An erster Stelle stand logisch wie historisch die mangelnde Entwicklung der kapitalistischen Produktion selbst, insbesondere der Transport- und Kommunikationsmittel. Deren Entwicklung war – von den Eisenbahnen bis zum Internet – stets ein entscheidender Faktor in Phasen beschleunigter Erweiterung der Stufenleiter und folglich eines erhöhten Stoffwechsels. Zweitens wurde das Wertgesetz durch die Intervention des Staates behindert. Solange die Produktion ganz überwiegend für den Binnenmarkt bestimmt war, hatte Protektionismus für Länder, in denen die Bedingungen für eine industrielle Entwicklung gegeben waren, durchaus Sinn. Er hatte zweifellos seinen Anteil daran, dass die USA und Deutschland bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zu den führenden Industrieländern wurden. Doch sobald die Erweiterung der Stufenleiter der Produktion an den Punkt gelangte, an dem der Binnenmarkt für das nationale Kapital nicht mehr ausreichte, da die Unternehmen ab einer bestimmten Größe und Produktivität ihren Mehrwert nur noch auf großen internationalen Märkten realisierten konnten, wurde der Protektionismus kontraproduktiv. (Dennoch, trotz aller negativen Erfahrungen, ist der Kapitalismus nicht vor dessen schleichender Wiederkehr gefeit. Wenn diese tatsächlich eintritt, wird sie eine Flucht nach vorn, einen Schritt zum Krieg bedeuten.) Drittens muss das Geld mit der Erweiterung der Stufenleiter Schritt halten und auf internationaler Ebene funktionieren: in Form einer internationalen Währung. An mehreren Punkten in der Geschichte des Kapitalismus verhinderten die enge Basis des Geldes (Edelmetalle) oder sein ungezügeltes Wachstum und die damit einhergehende Instabilität (ungedecktes Papiergeld), dass das technologische Potenzial für eine Erweiterung der Stufenleiter ausgenutzt werden konnte. Viertens schließlich gibt es die physischen Grenzen des Planeten. Diese Grenzen sind nicht gänzlich unverrückbar: Der technologische Fortschritt erlaubt eine effizientere Nutzung der begrenzten Ressourcen. Doch je weiter die Grenzen verschoben werden, umso schwieriger wird es, sie noch weiter hinauszuschieben, und umso weniger vermag dies noch den Erfordernissen des Systems Genüge zu tun. Wenn die gesamte Welt bereits auf der Basis des Wertgesetzes operiert, gibt es keine unberührten Gebiete mehr, die vom Kapital geplündert und vom Wertgesetz durchdrungen werden könnten, um jenen Stoffwechsel in Gang zu setzen, der den Widersprüchen des Kapitalismus entgegenwirkt.

Gegen dieses vierte Hindernis kann der Kapitalismus letztlich nichts ausrichten. Bei der Überwindung der ersten drei hingegen machte er immer wieder beachtliche Fortschritte, insbesondere während der Phase nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Dollar als ausdehnungsfähige, aber stabile internationale Währung, der deutliche Rückgang des Protektionismus innerhalb der riesigen Dollar-Ökonomie und die steil sinkenden Kosten für Transport und Kommunikation – ermöglicht durch neue Technologien, die während des Kriegs entwickelt worden waren und nun in der Wirtschaft auf breiter Front zum Einsatz kamen – bewirkten eine erhebliche Erweiterung der Stufenleiter der Produktion. Dadurch wurden jene Faktoren aktiviert, die den Widersprüchen des Kapitalismus entgegenwirken, und für mehr als ein Vierteljahrhundert die größten Wachstumsraten in seiner Geschichte erzeugt.

Die, die einen gewöhnlichen Schuh in einen „Air Jordan“ verwandeln, gewährleisten jedoch die Aufrechterhaltung des Wettbewerbsvorteils

Ein solches Zusammenwirken politischer und technologischer Faktoren, welches das Terrain des entwickelten Kapitalismus erweitert und dergestalt seine Widersprüche mildert, stellt auch jener Prozess dar, der als „Globalisierung“ bezeichnet wird. Der Zusammenbruch des russischen Machtblocks und die Überwindung weiterer Handelsschranken einerseits, die Verbreitung von Informationstechnologien und das durch sie begünstigte Sinken der Kommunikations- und Transportkosten andererseits führten zu einer Wiederbelebung des Stoffwechsels. Ausschlaggebend war dabei, dass ein bis dahin ungekanntes Potenzial entstanden war, die Technologien und Produktionsmethoden des entwickelten Kapitalismus mit einer Arbeitskraft zu kombinieren, deren Wert durch die Lebensbedingungen in den unterentwickelten Ländern bestimmt ist. Dies erhöhte die Mehrwertrate sowohl direkt als auch für andere Kapitale indirekt, da der Wert der von ihren Arbeitern benötigten Waren gesenkt und der relative Mehrwert folglich gesteigert wurde; insgesamt wirkte dies dem Fall der Profitrate entgegen. So wurde ein großer Teil der fordistischen Produktion (Fließbandarbeit) in vormals unterentwickelte Teile der Welt verlagert, während sich die in den entwickelten Ländern verbliebene Industrie in Richtung „Postfordismus“ entwickelte (in dem eher die Automatisierung als mechanische Technologien im Zentrum der Produktion steht). Aufgrund der chronischen Überkapazitäten der Weltwirtschaft, die seit dem Ende des Nachkriegsbooms auf die Profitrate drückten, erfolgte die Jagd nach Extraprofiten weniger nach Art des Fordismus durch die Ausweitung des Produktionsvolumens als durch den Versuch, mit der Produktion neuer Waren (Produktionsmittel wie Konsumgüter) eine relative Knappheit zu erzeugen, die dem jeweiligen Kapital eine monopolistische oder semi-monopolistische Marktposition und somit einen Extraprofit sichert. Das entwickelte Kapital wurde in zunehmendem Maße von dieser Art der Mehrwertgewinnung abhängig. Solche Marktpositionen sind zwar nur von begrenzter Dauer, ein hohes Tempo technologischer Innovation oder auch Werbekampagnen, die einen gewöhnlichen Schuh in einen „Air Jordan“ verwandeln, gewährleisten jedoch die Aufrechterhaltung des Wettbewerbsvorteils.

Schon zu früheren Zeitpunkten waren solche Versuche zur Eroberung semi-monopolistischer Marktstellungen ein auffälliges Phänomen, insbesondere um die Jahrhundertwende und in den 1920er Jahren – zwei Phasen, in denen die Widersprüche des Kapitals ebenfalls zur Reife gelangten. Wie in der zurückliegenden Dekade wurden diese Versuche notwendig durch drohende Überkapazitäten und Profitratenfall und möglich durch ein hohes Tempo technologischer Innovation und Kapitalkonzentration.

Ebenso gab es Zeiten, in denen technologische Veränderungen den Anstoß zur Erweiterung der Stufenleiter gaben. Eine solche Periode durchläuft stets zwei Phasen: Zunächst führt die Ausbreitung neuer Produktionsmethoden zu einer Wiederbelebung des Stoffwechsels und schafft reichlich Gelegenheit für Extraprofite, deren Quelle in dem dadurch ermöglichten Wachstum des Mehrwerts liegt; in der zweiten Phase verallgemeinert sich der Einsatz der neuen Produktionsmethoden, wodurch der Stoffwechsel eingeschränkt wird. So war es beispielsweise die Verallgemeinerung des fordistischen Produktionsprozesses im entwickelten Kapitalismus, der den Nachkriegsboom zum Halt brachte und erneut zu Überkapazitäten und einem Fall der Profitrate führte.

Derselbe technologische Wandel, der in der Ära der „Globalisierung“ Möglichkeiten des Extraprofits schuf, verschärfte die Widersprüche des Kapitalismus. In der automatisierten Fabrik wird die lebendige Arbeit, die Quelle des Mehrwerts, erheblich reduziert. Das hohe Innovationstempo beschleunigt den moralischen Verschleiß, die verdeckte Überproduktion konstanten Kapitals. Nirgends treten diese Tendenzen deutlicher zutage als in jenem Sektor, der geradezu das Sinnbild postfordistischer Produktion darstellt: bei den digitalen Waren. Es steht außer Zweifel, dass Software und andere Informationsgüter heute eine entscheidende und weiter zunehmende Bedeutung für die Erzeugung von Gebrauchswerten haben. Doch obgleich sie den Kapitalen, die sie herstellen, hohe Profite bescheren mögen, schaffen sie nur einen sehr geringen Tauschwert für das Gesamtkapital. Für sie gilt, was Marx über die Maschine schrieb: Es „ist ihr Wert, so jung und lebenskräftig sie sonst noch sein mag, nicht mehr bestimmt durch die tatsächlich in ihr selbst vergegenständlichte, sondern durch die zu ihrer eignen Reproduktion oder zur Reproduktion der bessren Maschine notwendige Arbeitszeit“ (MEW 23, 427). Da die zu ihrer Reproduktion (zum Kopieren) gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit gegen Null geht, tendieren sie zu einer schnellen Entwertung und enthalten folglich wenig Mehrwert. Die durch ihren Verkauf erzielten Profite sind Extraprofite, die aus einer durch Patente und Urheberrechte geschützten Monopolstellung resultieren. Diese haben in den vergangenen Jahrzehnten erheblich zugenommen – Microsoft meldet jährlich rund 3000 Patente an – und werden dem Markt durch die Macht des Staates aufgezwungen.

Die Software zeigt daher deutlich, wie absurd das Fortbestehen der Wertform ist. Einerseits steigert die Software die Produktivität und Vielseitigkeit der Produktion und somit den wirklichen Reichtum potenziell in ungeahnte Höhen, während sie andererseits den Tauschwert, den kapitalistischen Reichtum, sinken lässt. Einerseits ist sie ein Mittel zur Gewinnung von Extraprofiten, das vom Staat und weniger vom Markt durchgesetzt wird, und andererseits widersetzt sie sich aufgrund ihres gesellschaftlichen Charakters und ihrer beinahe kostenlosen Reproduzierbarkeit der Warenform und lädt zur gemeinsamen Nutzung ein – zu einer Verbreitung, die nicht mehr auf der Wertform gründet.

In den vergangenen Jahren hat sich der vielfältige Einsatz von Informationstechnologien entlang der globalisierten Produktionsketten allgemein durchgesetzt. Somit ist auch diese Periode der Ausweitung – möglicherweise die letzte bedeutende in der Geschichte des Kapitalismus – in die Phase ihrer Verallgemeinerung eingetreten, so dass der Kapitalismus einmal mehr mit seinen unlösbaren Widersprüchen konfrontiert ist.

Krise, Krieg und Revolution

Kein Kapitalist will sein Kapital an Wert verlieren sehen. Doch da er dieses Schicksal abzuwenden versucht, indem er den individuellen Wert seines Produkts unter seinen gesellschaftlichen Wert senkt, bringt er sich diesem Schicksal näher. Wie wir gesehen haben, kann das Gesamtkapital seinen Wert nur durch Verwertung erhalten. Es kann nie aufhören zu akkumulieren. Es muss sich reproduzieren und in diesem Prozess wachsen... oder es wird entwertet. Die nach oben weisende Kurve des Wachstums des existierenden Kapitals muss zwangsläufig die nach unten weisende Kurve der Schaffung und produktiven Realisierung neuen Werts schneiden. Dann wird eine Krise notwendig, um die Bedingungen der Akkumulation wiederherzustellen. Je größer das existierende Kapital im Verhältnis zur neuen Wertschöpfung, umso mehr Entwertung ist erforderlich und umso tiefer muss folglich die Krise sein. Die reelle Subsumtion führt unausweichlich an einen Punkt, an dem das existierende Kapital so groß ist, dass eine Krise allein nicht die erforderliche Entwertung bewerkstelligen kann.

Theoretisch kann die Krise dies zwar immer, da es in der Theorie keine positive Untergrenze gibt, unter die der Wert des konstanten und variablen Kapitals nicht fallen könnte. Er muss also auf einen Punkt sinken, an dem die erweiterte Reproduktion wieder profitabel wird. Aber in der Wirklichkeit kann die Krise dies nicht. Ein Minimum an Bedürfnissen der Arbeiterklasse, das zu ihrer Erhaltung als variables Kapital notwendig ist, und ein Minimum an Bedürfnissen der Gesellschaft, das ihre Funktionsfähigkeit sicherstellt, bilden eine Untergrenze, die der weiteren Entwertung entgegensteht. Je tiefer die Krise, umso mehr leiden die Kapitalisten, umso mehr leidet die Arbeiterklasse, und umso mehr nehmen die sozialen Spannungen zu. Die Instabilität des Werts übersetzt sich in die Instabilität der Gesellschaft. Der Drang, das Ausbluten zu stoppen, die Spirale zu durchbrechen und die Dynamik umzukehren, wird unabweisbar. Soweit er dazu noch in der Lage ist, versucht der Staat, der Deflationstendenz entgegenzuwirken, indem er Geld in die Gesellschaft pumpt, um die Nachfrage zu stimulieren und die Profitraten zu stützen.

In dem Maße, wie ihm dies gelingt, sabotiert er den Krisenmechanismus, den der Akkumulationsprozess zu seiner Heilung benötigt. Genauer gesagt, er zieht ihn in die Länge, verschiebt ihn in die Zukunft. Um die Entwertung einzudämmen, wird fiktives Kapital eingesetzt, aber dieses neue fiktive Kapital stellt seinerseits einen Anspruch auf zukünftige Profite dar. Kann die Wirtschaft diese Profite nicht liefern, wächst die Neigung zum Einsatz industrieller Macht für militärische Ziele, um sich den fehlenden Mehrwert andernorts mit Gewalt zu nehmen, die Ansprüche des eigenen Kapitals zu befriedigen und dergestalt seinen Zusammenbruch abzuwenden. Dies trifft sich hervorragend mit dem Erfordernis, die Unruhe in der Gesellschaft durch Nationalismus und Lenkung sozialer Wut auf einen gemeinsamen Feind unter Kontrolle zu bringen.

Die Entwicklung der reellen Subsumtion führt daher an einem gewissen Punkt auf „natürliche“ Weise zum Krieg, sofern der Kapitalismus in der Lage ist, ihn gesellschaftlich durchzusetzen. Der Krieg wird in erster Linie zwecks Plünderung geführt, aber er wird zugleich zu einem funktionellen Erfordernis, um die auf dem Wert basierende Ökonomie fortzuführen. Er muss zu Ende bringen, was die Krise begonnen hat. So wird er zu einem integralen Bestandteil des Akkumulationszyklus. Das bedeutet nicht, dass der Krieg eine mechanische Antwort auf die Notwendigkeit der Entwertung darstellt und diese allein darüber entscheidet, wann und wo ein Krieg ausbricht, wie lange er dauert oder wie zerstörerisch er ausfällt. Die Geschichte ist kein Uhrwerk. Kriege lassen sich nicht auf eine einzige Ursache zurückführen, aber der vorliegende Beitrag ist nicht der Ort, um ihre Vielschichtigkeit zu untersuchen. Gleichwohl entspricht die theoretische Schlussfolgerung, dass die Entwicklung der reellen Subsumtion an einen Punkt führt, an dem die Krise alleine nicht mehr die Bedingungen der Akkumulation wiederherstellen kann, durchaus der Realität der Weltkriege im 20. Jahrhundert.

Hunderte Millionen starben, damit der Wert überleben konnte.

Selbstverständlich war der Krieg nichts Neues. Der Kapitalismus hat revolutionäre Kriege und Eroberungskriege geführt – manchmal beides zur gleichen Zeit. Doch niemals hatte es sich um solche Orgien der Selbstzerstörung gehandelt. Niemals war der Kapitalismus zu einer derartigen Kannibalisierung übergegangen, global und mit industrieller Schlagkraft. Niemals wurde so viel Wert vernichtet. Ungeachtet der Intentionen und Pathologien der Kriegstreiber bestand eben darin die Funktion des Krieges für den Akkumulationsprozess. Hunderte Millionen starben, damit der Wert überleben konnte.

Der Erste Weltkrieg kann daher als Manifestation eines neuen historischen Rahmens der Reproduktion der Gesellschaft gesehen werden, eines Rahmens, in dem in unregelmäßigen Abständen eine Kombination von Krise und Krieg erforderlich ist, um das System zu bereinigen. Diese neue Phase wurde als „Dekadenz“ bezeichnet 5. Für die Arbeiterklasse bedeutet sie, dass jede Entscheidung für den Kapitalismus (ihm zu vertrauen, sich mit ihm zu verbünden, sich in ihn zu integrieren) am Ende eine Entscheidung zum Selbstmord ist. Mit dem Anbruch der Dekadenz wird die Kluft zwischen der positiven und der negativen Kritik des Kapitalismus unüberbrückbar.

Kriege sind per definitionem ein enormer Verlust an Wert für das Gesamtkapital. Aber genau dies müssen sie für den Akkumulationsprozess auch sein. Das bedeutet nicht, dass jeder Krieg notwendigerweise die Bedingungen für die Akkumulation wiederherstellt. Er tut dies nur insoweit, als er dieselben Auswirkungen – aber in größerem Ausmaß – wie die Krise hat. Der Krieg entwertet Kapital, indem er es vernichtet; so beseitigt er dessen Ansprüche auf zukünftige Profite und stellt wieder ein Gleichgewicht zwischen dem existierenden Kapital und der tatsächlichen Wertproduktion her. In dieser Hinsicht war der Zweite Weltkrieg weitaus effektiver als der Erste Weltkrieg, und darin liegt einer der Gründe, warum der Nachkriegsboom so lange anhielt. Dass dessen Ende nicht sogleich einen globalen Zusammenbruch der Wirtschaft auslöste, kann nicht allein durch staatskapitalistische Interventionen und die massive Erzeugung fiktiven Kapitals erklärt werden, wenngleich beides den Tag der Abrechnung hinauszögerte. Der wichtigste Grund dafür, dass dieser hinausgeschoben werden konnte, waren die „Globalisierung“ und ihre positiven Auswirkungen auf die Profitrate und das Wachstum der produktiven Nachfrage. Allerdings war dies nicht ausreichend, um die weltweite Wachstumsrate wiederherzustellen, die in den 1970er Jahren in den Keller ging und sich seitdem nicht mehr erholt hat 6. Unterdessen hat sich das Wachstum des fiktiven Kapitals unablässig beschleunigt. Das Ungleichgewicht zwischen Geld als allgemeiner Ware, die andere Waren zirkulieren lässt, und Geld als besonderer Ware, die als Anspruch auf zukünftigen Wert gehortet wird, hat in diesem Jahrzehnt groteske Ausmaße angenommen. Ersteres macht Schätzungen zufolge nur zwei Prozent aller täglich getätigten Geldtransaktionen aus 7. Der Rest ist Geld, das als Selbstzweck gehortet wird, also in der Erwartung, dass es an Wert gewinnt, indem es seinen Anspruch auf einen Teil des erst noch zu produzierenden Mehrwerts geltend macht. Die mehrere Billionen Dollar, Euro usw., die verdampft sind, seit das Platzen der amerikanischen Immobilienblase die Rückkehr der Krise ausgelöst hat, stellen daher nur einen Bruchteil des kapitalistischen Reichtums dar, der noch verschwinden muss, um wieder Akkumulationsbedingungen herzustellen.

Die Arbeiterklasse hingegen hat durchaus eine Wahl

So befindet sich der Kapitalismus einmal mehr auf dem Weg zum Zusammenbruch und/oder Krieg. Aber die Zukunft wird keine Neuaufführung der Vergangenheit sein. Ich sage nicht den Dritten Weltkrieg voraus. Sehr wohl aber sage ich voraus, dass die Entwertung anhalten und sich verschlimmern wird. Wie die Kapitalistenklasse und, wichtiger noch, die Arbeiterklasse darauf reagieren wird, ist offen. Aber die Kapitalistenklasse hat kaum eine Wahl, abgesehen von den Mitteln und Wegen, mit denen sie die Gesellschaft im Griff zu halten versucht. Die Arbeiterklasse hingegen hat durchaus eine Wahl. Sie kann nichts tun und sich an die irrationale Hoffnung klammern, dass am Ende alles irgendwie von selbst wieder in Ordnung kommt. Oder sie kann ihre Zukunft in die eigenen Hände nehmen und der Herrschaft der Wertform über die Gesellschaft ein Ende bereiten.

Es ist Zeit, die Revolution auf die Tagesordnung zu setzen.

Für die Druckversion in Kosmoprolet wurde der vorliegende Beitrag um die Abschnitte “Eine Welt des Werts” und “Money makes the world go round” gekürzt.

Sander ist Mitglied der Gruppe Internationalist Perspective

  • 1. Marx sah die erforderliche Arbeitskraft, um eine Ware in Reichweite der Konsumenten zu bringen, als eine Verlängerung der Produktion in die Zirkulationssphäre an, die wertschaffend ist und deshalb Mehrwert fürs Kapital produziert.
  • 2. Oder, mit anderen Worten, Extraprofit. Mehr über den Prozess der Angleichung der Profitrate unter: http://www.internationalist-perspective.org/IP/ip-archive/ip_32-33_cap-…. Der tendenzielle Fall der Profitrate ist eine der umstrittensten Analysen von Marx. Er erscheint alles andere als plausibel. Die Erhöhung der Produktivität durch technologische Innovation bedeutet mehr Profit für den Kapitalisten, warum heißt es das dann nicht auch für den Kapitalismus insgesamt? Die Antwort liegt darin, dass das individuelle Interesse des Kapitalisten und das des Kapitals als Ganzem oft im Widerspruch zueinander stehen. Der Irrationalismus des Kapitalismus ist die Summe unzähliger rationaler Entscheidungen einzelner Kapitalisten. Der „Beweis“, dass der tendenzielle Fall der Profitrate eine Finte wäre, wurde angeblich vom Okishio-Theorem angetreten, das zur gegenteiligen Schlussfolgerung wie Marx gelangte. Ich kenne mich nur wenig mit Mathematik aus, aber ich weiß, dass jedes Modell nur so gut sein kann, wie die ihm zugrunde liegenden Annahmen. Okishio ging davon aus, dass dieselben Waren denselben Preis vor und nach der Produktion haben. Er betrachtete die Stabilität ihres Wertes als gegeben, während die Pointe der Marxschen Überlegungen ja gerade darin besteht, dass ihr Preis fällt. Deshalb waren Okishios Schlussfolgerung und Ausgangspunkt identisch. Mehr dazu in: Andrew Kliman, Reclaiming Marx’s Capital, Lanham 2007.
  • 3. Siehe http://www.bostonherald.com/business/general/view.bg?articleid=553562. n37 crisis3
  • 4. So etwa: Peter Gowan, ‘Crisis in the Heartland’, in New left Review 55.
  • 5. Eine keineswegs ideale Bezeichnung, da sie gewöhnlich mit Amoralität und im Marxismus zudem mit der Position assoziiert wird, dass der Kapitalismus einen Punkt erreicht habe, an dem er seine Produktivkräfte nicht weiter entfalten kann. Dagegen sind wir der Auffassung, dass sie sich während der Dekadenz des Kapitalismus beträchtlich weiterentwickelt haben, da ihre Triebkraft – die Jagd nach Extraprofit – nur noch stärker geworden ist. Andere bevorzugen die Begriffe „Ära der Regression“ oder „permanente Krise“ zur Bezeichnung des neuen gesellschaftlichen Rahmens. Letzteres ist meines Erachtens keine gute Wahl, da es im Wesen der Krise liegt, dass sie nicht permanent ist. Wichtiger als die Bezeichnung ist jedoch die Erkenntnis, dass eine neue Phase begonnen hat, die die Welt und insbesondere die Arbeiterklasse vor drastische Entscheidungen stellt.
  • 6. Die durchschnittliche weltweite Wachstumsrate pro Kopf betrug 2,9% von 1951 bis 1973 und 1,6% von 1974 bis 2003 (Jahresbericht von Angus Maddison).
  • 7. Vgl. Bernard Lietaer, The Future of Money, London 2002.