Filmkritik: „Luft zum Atmen“ - Opel Bochum und die linke Legendenbildung

24. März 2019

Eine für deutsche Verhältnisse eher ungewöhnliche Geschichte erzählt der Dokumentarfilm „Luft zum Atmen – 40 Jahre Opposition bei Opel Bochum“. Zu Wort kommen ehemalige Aktive der Betriebsgruppe „Gegenwehr ohne Grenzen“ (GOG), die in den frühen 1970er Jahren als „Gruppe oppositioneller Gewerkschafter“ anfing, ziemlich schnell aus der IG Metall flog und dann als unabhängiger Club versucht hat, konsequente Interessenvertretung zu machen. Wesentlich dafür war „das Zusammenkommen von Aktiven aus der 68er Bewegung, von politisch engagierten Migrantengruppen und kampferfahrenen Berg- und Stahlarbeitern aus dem Ruhrgebiet“.i Den letzten großen Akt bildete ein wilder Streik im Jahr 2004, der von der Tagesschau bis in linksradikale Kreise für großes Aufsehen sorgte, allerdings bereits ein reiner Abwehrkampf gegen Stellenabbau war. Seit 2014 ist Opel Bochum geschlossen.

Was kann man mit dieser Geschichte heute anfangen? Robert Schlosser, Anfang der 1970er kurzzeitig selbst Arbeiter bei Opel Bochum und danach lange im Umfeld der GOG aktiv, hat nach der Bochumer Premiere des Films – in dem er selbst kurz zu Wort kommt – einige Gedanken aufgeschrieben, die wir hier auch deshalb dokumentieren, weil sie über den konkreten Fall hinaus die Frage nach den Grenzen radikaler Betriebsarbeit aufwerfen.

F. K. (Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft)

Hier geht´s zum Trailer und mehr Infos über den Film auf labournet.tv

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Dass der Film über die Geschichte der GOG gemacht wurde, finde ich prima. Im Großen und Ganzen scheint er mir auch sehr gelungen, auch wenn ich manchen Äußerungen im Film schon aus meiner persönlichen Erinnerung widersprechen würde.ii Es ist wichtig, dass eine Geschichte der GOG geschrieben oder erzählt wird, und dieser Film leistet einen Beitrag dazu. Das Besondere und Einmalige an der GOG ist aus meiner Sicht aber weniger der Streik von 2004, in dem angeblich die ganze Arbeit kulminierte, als die Gruppe selbst. Mir ist keine vergleichbare Gruppe aus klassenkämpferischen und kommunistischen Kollegen in der jüngeren Geschichte Deutschlands bekannt – Kolleginnen waren leider fast nie dabei –, die über so lange Jahre kontinuierlich in einem Betrieb „gegen den Strom“ geschwommen ist. Allein das verdient großen Respekt gegenüber jedem Einzelnen, der dabei war.

Die Geschichtsschreibung gegen das Vergessen der GOG drängt eigentlich aus zwei Gründen.

Zum einen ist Opel Bochum Geschichte. Schon deshalb ist aber auch die GOG als eine betrieblich aktive Gruppe Geschichte, deren Arbeit im Wesentlichen darin bestand, mit regelmäßigen Flugblättern im Betrieb zu agitieren, die Betriebsratsarbeit zu besprechen usw. Es existiert heute zwar noch eine Gruppe von Rentnern, die die Erinnerung hochhält, sich regelmäßig trifft und viele Fragen des gesellschaftlichen Lebens kritisch diskutiert, ja auch auch an dieser oder jener Aktion „der Linken“ teilnimmt. Aber das ist nicht mehr die GOG.

Aus deren Arbeit kann man eine ganze Menge lernen – sowohl was so alles möglich ist als auch, an welche Grenzen man mit klassenkämpferischer gewerkschaftlicher Arbeit stößt. Leider haben schon die Wortbeiträge nach der Filmvorführung deutlich gemacht, dass man über solche Grenzen nicht gern spricht. Wenn man sie aufzeigt oder gar das Wort „Scheitern“ in den Mund nimmt, gilt das als Pessimismus und sorgt für Aufregung. Gescheitert ist die GOG aber auf jeden Fall in zweierlei Hinsicht: Der Kampf gegen „Arbeitsplatzabbau“ und die drohende Werksschließung, den man ja führen wollte und geführt hat, konnte beides nicht verhindern. Und gerade der im Film enorm hochgelobte Streik von 2004 drückt dieses Scheitern aus.

Die folgenden Überlegungen sollen dazu beitragen, einer Legendenbildung vorzubeugen, die gerade radikale Linke so gern betreiben. Im Film wie im heutigen Bewusstsein der verbliebenen „GOG“ spielt der Streik von 2004 eine herausragende Rolle. Aus meiner Sicht verdient er das nicht, weil sich in ihm gerade die Schranken einer klassenkämpferischen betrieblichen Gewerkschaftsarbeit ausdrücken.

Die wirklichen Erfolge der GOG wurden in Zeiten erkämpft, als es noch nicht um „Arbeitsplatzabbau“ und drohende Werksschließung ging, sondern Opel sehr erfolgreich war; Presseschlagzeilen in den 1970er Jahren lauteten: „Opel dreht wieder neue Rekordrunden“, „Opel fährt Konkurrenten davon“ usw. Unter Bezugnahme darauf stellte die GOG ihre Forderungen nach Lohnerhöhung und Arbeitszeitverkürzung. Nicht nur war diese Agitation erfolgreich, sondern auch der Kampf selbst.iii Die Erfolge der frühen 1970er Jahre kulminierten im Betriebsratswahlerfolg von 1975, als die GOG rund ein Drittel der Stimmen erreichte und 12 Sitze im Betriebsrat gewann. Ein solcher Erfolg wurde nie wieder erreicht. Schon gar nicht bei den Betriebsratwahlen von 2006, also zwei Jahre nach dem Streik von 2004. Der Film erwähnt zwar den Erfolg von 1975, aber schweigt sich aus über die Ergebnisse von 2006. Das ist bemerkenswert. Auch wenn man die Ergebnisse von Betriebsratswahlen nicht überbewerten sollte, drückt sich in ihnen zweifellos ein wachsender oder zurückgehender Einfluss aus.

Gescheiterte Kämpfe

Am Schluss des Films – nach dem Streik von 2004 – schreit ein Kollege den ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden Einenkel sinngemäß so an: „Und was haben wir jetzt? Scheiße! Habe ein Haus gebaut, und jetzt?“ Einenkel antwortet ihm: „Aber wir sind ja noch da!“ Der Kollege: „Und wat is 2016?“

Es lässt sich nicht bestreiten, dass die Belegschaft bei Opel in Bochum immer kleiner wurde und es Opel heute nicht mehr gibt. Man hatte aber – in den letzten Jahren mehr und mehr – gegen den „Abbau von Arbeitsplätzen“ und gegen die Werksschließung gekämpft. Diese Auseinandersetzungen bestimmten die „Klassenkämpfe“ bei Opel grob seit den 1990er Jahren. Gemessen an ihren Zielen war die Bewegung bei Opel also nicht erfolgreich. Das ist ein Fakt.

Florierende Kapitalakkumulation ist die Basis für erfolgreiche Kämpfe um mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen. Die Agitation verweist dabei zurecht auf die enormen Profite der Unternehmen. Gerät die Akkumulation in die Krise – gesamtgesellschaftlich oder beim Einzelkapital –, dann schwindet der Spielraum für solche Verteilungskämpfe. Die Agitation unter Verweis auf die Profite versagt ihre Wirkung, sie wird sogar sachlich falsch. Der Kampf gegen „Abbau von Arbeitsplätzen“ und gegen Werksschließungen, der auf die zu begrenzenden Profite verweist, bietet keine Perspektive und ist zum Scheitern verurteilt. Denn objektiv stellt sich dann die Eigentumsfrage; man muss sie aussprechen und über Formen von Gemeineigentum diskutieren.

Ich erinnere mich, dass die GOG in einem ihrer Flugblätter zum Streik 2004 aus einem Text von mir zitiert hat, der sich mit den begrenzten Möglichkeiten des Kampfes einzelner Belegschaften gegen Entlassung und Werksschließung befasste. Ob darin auch die folgende Passage enthalten war, weiß ich nicht mehr. Auf jeden Fall blieb die wesentliche Erkenntnis folgenlos für die Gruppe:

„Wer gegen drohende Lohnarbeitslosigkeit kämpft, die Lohnabhängigkeit und die damit verbundenen Produktionsverhältnisse aber akzeptiert, hat die Denkverbote schon im eigenen Kopf. Die Perspektiven des Kampfes sind von vornherein sehr eingeschränkt und eine Vernunft ist schon verankert, die die Niederlage akzeptiert und die Menschen beugt. Ein gesellschaftlicher Sachzwang, der wie eine Naturnotwendigkeit empfunden wird, setzt sich als Einsicht und Resignation durch und bestimmt letztlich das Handeln der Einzelnen. Die allgegenwärtige Lösung des Widerspruchs besteht in einer vorprogrammierten Niederlage. Einzelne Belegschaften können sicher Zugeständnisse von Seiten des Kapitals ertrotzen, aber die Niederlage nicht vermeiden. Eine Perspektive für die Zukunft entsteht nur dann, wenn die Erkenntnis sich breit macht, dass das System der Lohnarbeit selbst die Ursache von Lohnarbeitslosigkeit und existenzieller Unsicherheit ist. Die herrschende ökonomische Vernunft ist asozial. Je mehr sie das Denken der Menschen beherrscht, desto mehr werden wir alle den Wechselfällen von Kapitalverwertung ausgeliefert sein und uns abhängig machen von der Bereicherung der Geldbesitzer. Wer die bestehende Ordnung akzeptiert, darf sich über deren Folgen nicht wundern. Wenn Lohnabhängige existentielle Unsicherheit und Armut vermeiden und überwinden wollen, müssen sie sich wieder als Solidargemeinschaft organisieren, um das Privateigentum an Produktionsmitteln und damit das System der Lohnarbeit selbst abzuschaffen.“

Der „echte Sozialismus“ in der Betriebsarbeit

Dass solche Erkenntnisse folgenlos blieben, zeigt sich besonders im Betriebsratswahlprogramm von 2006. Damals kandidierten Kollegen der GOG gemeinsam mit „echten Sozialisten“ – wer den „echten Sozialismus“ propagiert, muss wohl nicht näher ausgeführt werden –, die ihre famosen Erkenntnisse offenbar ohne wenn und aber durchsetzen konnten. So lauten die Lehren aus dem Streik von 2004: Der Streik im Oktober 2004 hat den Weg aufgezeigt. Wir haben nicht nur GM den Stirn geboten und empfindlich am Nerv, dem Profit, getroffen. Die Bochumer Belegschaft hat selbst bestimmt und die Bevölkerung mobilisiert. Nicht abgewartet, sondern angegriffen und ein Zeichen gesetzt, an dem sich andere Belegschaften orientieren können. Wir haben gezeigt – ohne uns Arbeiterinnen und Arbeiter läuft nichts!“

Der Nerv des Profits von Opel/GM war schon vorher getroffen – nicht durch den Kampf der Belegschaft, sondern durch ungenügenden Absatz in der Konkurrenz mit anderen Autokonzernen. Richtig wäre es daher allenfalls gewesen, zu sagen, dass ein anderer Nerv getroffen wurde: Der Verlust, den GM bei Opel erlitten hat, wurde noch vergrößert.

Was aber als „konsequenter Gewerkschafter“ tun, wenn das Kapital Verlust einfährt? Ich war damit im Lauf meiner „Lohnarbeitskarriere“ ständig konfrontiert, weil ich vier Pleiten miterlebt habe. Eine solche Frage aber – Was dann? – hat sich die GOG nie wirklich gestellt, auch dann nicht, als es bei Opel bergab ging. Alle Agitation für den Kampf zielte immer auf eine Umverteilung durch Schmälerung des Profits.

Ferner hat die Belegschaft 2004 nicht angegriffen, sondern sich verteidigt. Und am Ende zeigte sich nicht nur, dass ohne „uns ArbeiterInnen und Arbeiter“ nichts läuft, sondern dass bei Opel wie in jedem anderen kapitalistischen Betrieb auch ohne Kapital nichts läuft. Da kann man besetzen, soviel und solange man will. Aber im „konsequenten gewerkschaftlichen Kampf“ versperrt man sich solcher Einsicht konsequent. Da wird jede offenkundige Niederlage abgefeiert, weil man sich ordentlich gewehrt habe. Auch am Ende des Films wird in Ermangelung anderer Erfolge auf die hohen Abfindungen verwiesen, die die letzten Beschäftigen bekamen. Das soll man nicht verschweigen, aber das war eigentlich nicht das Ziel – oder doch?

Weiter heißt es im Wahlprogramm von 2006: Die Politik des Streikabbruchs, der Zugeständnisse und des Verzichts ist untauglich. Der Arbeitsplatzvernichtung und der Lohnkürzung bei Opelbochum sind VW, Ford und Daimler-Chysler gefolgt. Diese Abwärtsspirale hat kein Ende und muss durchbrochen werden.War das Ende des Streiks von 2004 das Ergebnis einer gewerkschaftlichen „Politik des Streikabbruchs“? Die Entscheidung jedenfalls fiel durch die Belegschaft selbst in einer Abstimmung. Ohne allen Widerspruch und Widerstand beantwortete man artig die etwa so formulierte Frage: „Soll der Betriebsrat die Verhandlungen fortführen und die Arbeit wieder aufgenommen werden? Ja oder nein?“ Niemand aus der Belegschaft – auch nicht die konsequentesten Gewerkschafter und „echtesten Sozialisten“ – hat diese Fragestellung bei der Belegschaftsversammlung entschieden zurückgewiesen. Im Film wird das unter anderem damit erklärt, dass keine Mikrofone im Saal standen. Die „Politik des Streikabbruchs“ war wirklich heimtückisch. Da konnte man nichts machen.

Wurde denn mit dem Streik 2004, mit diesem aufgezeigten Weg, die „Abwärtsspirale“ durchbrochen? Natürlich nicht, und es wäre die erste Pflicht einer nüchternen Bilanz gewesen, das festzuhalten. Nur so könnte es überhaupt zu einer vernünftigen Diskussion kommen, in der man richtige Lehren zieht.

Im Zuge der Erläuterung, wie die Betriebsratsarbeit verbessert werden soll, warnt das Wahlprogramm von 2006 dann vor Illusionen: Wer behauptet, dass der Betriebsrat allein die Macht hätte, die Forderungen der Belegschaft durchzusetzen und weitere Erpressungsangriffe zu verhindern, der verbreitet Illusionen.“ Was soll das heißen? Dass die Lohnarbeiter*innen weitere Erpressungsversuche seitens des Kapitals verhindern können, indem sie den Weg von 2004 fortsetzen? Solche Erpressungsversuche kann man nur dadurch verhindern, dass man dem Kapitalverhältnis selbst ein Ende bereitet. Kein Streik kann sie verhindern. Er endet früher oder später, und egal, ob er erfolgreich war oder nicht, geht das Spiel irgendwann von vorne los. Die Behauptung des Gegenteils ist selbst eine Illusion, die man aber gerne schürt.

Arbeitszeitverkürzung und der Kampf um „Arbeitsplätze“

Welche Perspektive des Kampfes bietet das Programm nun an, um die „Abwärtsspirale der Arbeitsplatzvernichtung“ zu beenden? Mit einer Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich würde die gestiegene Arbeitszeitverkürzung dazu verwendet werden können, Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen, sowie Arbeitshetze zu reduzieren und mehr Zeit zu haben für privates und gesellschaftliches Leben.“ Würde sie so verwendet, solange das Kapitalverhältnis weiter besteht? Stellt man diese famose reformistische Perspektive zum Beispiel dadurch infrage, dass die Einführung der 35-Stundenwoche eine steigende Lohnarbeitslosigkeit offenbar nicht verhindern konnte, geht folgendes Lamento los: Die lange Zeit der schrittweisen Arbeitszeitverkürzung wurde begleitet von einer immensen Steigerung der Produktivität, so dass ohne Arbeitszeitverkürzung heute Millionen Menschen mehr arbeitslos wären.“ Erst heißt es, man müsse „weitere Erpressungsversuche“ verhindern und „die Abwärtsspirale“ beenden, dann verteidigt man seine Illusionen damit, dass es ohne erfolgreichen Kampf um Arbeitszeitverkürzung noch stärkere „Arbeitsplatzvernichtung“ gegeben hätte und dass leider „weitere Erpressungsversuche“ seitens des Kapitals erfolgt seien, die man doch eigentlich verhindern wollte. Großartige Perspektiven sind das.

Die ganze Verwirrung, die da gestiftet wird, beginnt schon damit, dass permanent von „Arbeitsplätzen“ geredet wird und nicht von Lohnarbeitsplätzen. Das macht aber einen fundamentalen Unterschied. Die „Arbeitsplätze“, die da verteidigt und gemehrt werden sollen, sind nämlich nicht „unsere“. Mit allem, was da an Ausrüstung herumsteht, gehören sie dem Kapital. Das allgemeine Gerede von „Arbeitsplätzen“ ist nichts anderes als eine merkwürdige Umschreibung von „Produktionsmitteln“. Und solange diese „Arbeitsplätze“ Privateigentum sind, Kapitaleigenschaft besitzen, ist jedes Versprechen der Verhinderung „weiterer Erpressungsversuche“, jedes Versprechen auf die Nutzung des Produktivitätsfortschritts für den Erhalt von „Arbeitsplätzen“ und gar deren Mehrung, schlicht hohle Brosche.

Und was gibt es sonst noch an Perspektiven? Ach ja: Und warum soll es nicht möglich sein, die ganze Produktion und Verteilung und damit eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung selbst zu organisieren?“ Soweit waren die Vertrauensleute von Mannesmann schon 1978, nämlich mit einer Frage zu enden. Das ist auch ganz schön, aber eigentlich könnte man gerade aufgrund solcher Erfahrungen, sei es bei Opel Bochum oder anderswo, schon einen kleinen Schritt weiter sein. Und das würde heißen, offen auszusprechen, dass man mit solcher Betriebsarbeit wie jener der GOG und mit Kämpfen wie denen von 2004 eben noch keinen Weg gefunden hat, „Abwärtsspiralen“ zu beenden und „weitere Erpressungsversuche“ auszuschließen.

Man könnte mit Gewissheit sagen, dass die kapitalistischen Produktionsverhältnisse, das Privateigentum an Produktionsmitteln, beseitigt werden müssen zugunsten von Gemeineigentum in Selbstverwaltung. Erst wenn man das so eindeutig beantwortet hat, kann man die Frage stellen, wie das zu organisieren ist. Das wäre dann eine andere Diskussion, die aber auf einer bestimmten Klarheit beruht. Solange man dagegen Illusionen predigt und sich in den kleinen Erfolgen klassenkämpferischer Gewerkschaftsarbeit sonnt, gibt es keinen Ausweg aus der Misere. Das ganze Wahlprogramm von 2006 mit seinen Lehren über den richtigen Weg ist „echt sozialistischer“ Unfug.

Was bleibt?

Anhand des GOG-Films kann man sowohl die Möglichkeiten des gewerkschaftlichen Kampfes, des notwendigen betrieblichen Kleinkriegs mit dem Kapital, als auch seine Grenzen recht gut diskutieren. Dazu muss man aber bereit sein, die oft unerfreulichen Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen, und ferner jedwede „Opel-Brille“ vermeiden.

Eine produktivere Diskussion setzte ferner voraus, dass sich die klassenkämpferisch und kommunistisch Aktiven der Tatsache bewusst sind, dass sie in bestimmten Auseinandersetzungen heute keine Antwort zu bieten haben, und bereit sind, diesen Mangel zu beheben. Es gibt keinen Grund zum Jubeln, zum schlichten „Weiter so“ oder „Wieder so“. Wenn sich heute manche eine klassenkämpferische Arbeit, wie sie die GOG gemacht hat, herbeisehnen, dann spricht das nicht einfach für die GOG, die man sich als Vorbild nehmen sollte; es drückt auch aus, dass „wir“ eigentlich seit Jahrzehnten nicht vom Fleck kommen. Die GOG steht hier sozusagen symptomatisch für die ganze Linke. Die Frage nach „Sozialismus“ oder „Kommunismus“ ist nach wie vor offen wie ein Scheunentor oder wird mit der bunten Vielfalt alles dessen beantwortet, was es schon mal als theoretischen und praktischen Ansatz gab. Klärung und Verständigung finden nicht statt. Nichts scheint verworfen, nichts scheint bestätigt. Die objektive gesellschaftliche Realität nimmt darauf keine Rücksicht und hat nicht nur bei Opel die Frage nach den Produktionsverhältnissen, nach den Eigentumsverhältnissen kompromisslos aufgeworfen.

Was soll man nun eigentlich mitnehmen aus dem Film? Dass es sich für die, die bis ins Rentenalter über Gesellschaftskritik diskutieren, gelohnt hat? Dass es eine gute Zeit war? Sollen wir heute überall da, wo Massenentlassungen oder Werksschließungen anstehen, genau so agieren, wie seinerzeit die GOG? Ist es das, was bleibt? Das wäre ein „Minimalismus“, mit dem ich nicht viel anzufangen weiß.

Robert Schlosser

Luft zum Atmen – 40 Jahre Opposition bei Opel in Bochum. BRD 2019, 70min, labournet.tv.

... weil sie über den konkreten Fall hinaus die Frage nach den Grenzen radikaler Betriebsarbeit aufwerfen. Ein ausführliches Gespräch dazu mit Schlosser, das während der Dreharbeiten entstand, hat Labournet.tv
inzwischen ebenfalls veröffentlicht.

https://de.labournet.tv/robert-schlossers-kritik-der-gog-0

 

Fußnoten

i. Willi Hajek, Der Geist der Rebellion, in: ders./Jochen Gester (Hg.), Sechs Tage der Selbstermächtigung. Der Streik bei Opel in Bochum Oktober 2004, Berlin 2005, S. 11.

ii. Als 1972 die „Liste 2 für die Belegschaftsforderungen“ ins Leben gerufen wurde, aus der sich dann die GOG entwickelte, war ich schon nicht mehr bei Opel beschäftigt. „Im Hintergrund“ hatte ich aber schon mit diesem „Gründungsakt“ zu tun, nahm dann als Kommunist mehr als zehn Jahre lang an den Gruppensitzungen teil und unterstützte die GOG nach Kräften. Zu einzelnen Kollegen hatte ich Jahre lang auch intensiven persönlichen Kontakt.

iii. Zum Beispiel der Streik 1973 für eine Teuerungszulage oder die Agitation für eine Schichtzeitverkürzung um jeweils eine halbe Stunde auf 6 bis 14 und 14 bis 22 Uhr. Allerdings gewann man diese Schichtzeitverkürzung sozusagen im Huckepack der IG Metall, als die die 35-Stundenwoche durchsetzen konnte. Auch das sollte nicht vergessen werden – allein mit der betrieblichen Agitation wäre das kaum gelungen.

iv. Robert Schlosser, Begrenzte Möglichkeiten. Hürden und Hindernisse im Kampf einzelner Belegschaften gegen Entlassung und Werkschließung, in: Hajek/Gester, Sechs Tage der Selbstermächtigung. Der Text ist auch im Netz zu finden: www.rs002.de/Soziale_Emanzipation/_private/Opel-Streik.pdf.