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Erinnerungen an Peter Rambauseck

05. Juli 2022

Unser Freund und Genosse Peter Rambauseck ist am 26. Juli 2016 mit 82 Jahren gestorben. An Peter soll – auch zu diesem späten Zeitpunkt – noch einmal erinnert werden. Zum einen, weil er als radikal gebliebener 68er seine Erfahrungen im umfassenden Sinne an uns Nachgeborene weitergegeben hat, weil aus ihm, mit analytischer Schärfe artikuliert, immer wieder hervorschimmerte, auch immer wieder hervorplatzte, worin die eigentliche Kraft dieses letzten weltweiten revolutionären Aufbruchs bestanden haben mag. In Peter tummelten sich mit der Lust am Widerspruch, der Unversöhntheit mit der ganzen alten Scheiße, auch zuweilen dem bewussten Abgleitenlassen ins Kindisch-Patzige, bis zuletzt alle Energien der antiautoritären Revolte, weder durch das Denunziantentum des Renegaten noch durch rot-grünes Schulterklopfen neutralisiert.

Wie bleibt man als Antiautoritärer ein Leben lang unversöhnt und der Sache treu? Wie erinnert man an Verstorbene? »Wir« haben kein Mausoleum, keine Monumente und Huldigungsfibeln; »wir« haben keine Partei, keinen Katechismus, der den revolutionären Drang sterilisiert, einbalsamiert und über die Jahrhunderte haltbar macht. Wenn Peter Vorbild war (was er nicht sein wollte), dann in Bezug auf die fast unlösbare Aufgabe, einer Sache treu zu bleiben, ohne sie und sich in den gläsernen Sarg des Dogmatismus einzusperren.

In Peters Leben spiegelt sich ein knappes Jahrhundert linker Geschichte in Deutschland mit ihren Katastrophen und ihren großartigen Episoden, die dazu führen, dass wir heute überhaupt noch weitermachen können. Er kam aus einem kommunistisch-proletarischen Haushalt, sein Vater Hans Janocha war Anstreicher und hatte das »Malerhandwerk in einer kleinen Stadt gelernt, wo es mehr Prügel als Essen gab«, so Peter. In der Zeit der Weimarer Republik war er in Berlin als KPD-Rowdy bekannt, der im Rotfrontkämpferbund mit viel Akribie und Passion Nazis aufs Korn nahm. Nach deren Machtantritt wurde er von der SA als einer der ersten in ein improvisiertes KZ verfrachtet und dort schwer misshandelt. Kurz nach Peters Geburt 1934 emigrierte er nach Prag und schloss sich der Thälmann-Kolonne der Internationalen Brigaden im spanischen Bürgerkrieg an. Im August 1938 ist er am Ebro gefallen. Peters Mutter, die Stenotypistin Charlotte Rambauseck, war ebenso in der KPD aktiv. Um sich an der Moskauer Lenin-Schule für den parteiinternen Geheimdienst und den antifaschistischen Widerstand ausbilden zu lassen, gab sie ihren einjährigen Sohn zu einer Pflegemutter. Auch sie sah Peter nie wieder.

1941 begann für Peter die lange und leidvolle Zeit der Kinderlandverschickung. Die Odyssee durch die Heime des Nationalsozialismus führte ihn nach Thüringen, Ostpreußen, Pommern, Dänemark und die Tschechoslowakei. Die Organisation der Anstalten basierte auf den Prinzipien von Drill und Brechung: Die Knaben hatten Uniformen zu tragen, wenn im Spind und im Bett nicht alles auf Kante lag, setzte es Stubenkeile und die vom Regiment der Angst zwangsläufig produzierten Bettnässer mussten sich mit ihrem fleckigen Bettlaken zur Strafe im Heimhof zur Schau stellen.

Angesichts dieses Dauerfeuers an Gewalt und angesichts des rastlosen Weg- und Weitergegebenwerdens erschien der Verlust der Eltern erst recht als schwärende Wunde, die Peter zeit seines Lebens schmerzte. Es scheint, als sei in dieser Zeit der Keim für Peters lebenslange Revolte gegen den Autoritarismus und für die Empfindsamkeit gepflanzt worden – als der nationalsozialistische Staat in den letzten Kriegswochen zusammenbrach und sich die Kinder auf Zugdächern und Trittbrettern unter dem Bombardement der Alliierten über Felder, durch Wälder und Ruinenstädte aus Bayern allein nach Berlin durchschlagen mussten, kam möglicherweise noch die Überzeugung dazu, dass noch der Elendste am Ende selbst für sein Schicksal zu kämpfen habe.

Nach Kriegsende machte Peter, von Spanienkämpfern unter ihre Fittiche genommen, in der DDR eine Schlosserausbildung und eiferte seinem Vater, dem unbekannten Helden, nach: Auch weil er, wie er einmal vermutete, »Angst hatte, allein leben zu müssen«, verpflichtete er sich zur Kasernierten Volkspolizei, die er jedoch bald als Knast wahrnahm. Auch wenn Peter immer hohe Wertschätzung dafür bewahrte, in der DDR trotz beziehungsweise wegen seines proletarischen Hintergrunds schulisch gefördert und zum Studium zugelassen worden zu sein, präsentierte sich ihm der realsozialistische Staat bald als passivierend und beengend. Die totale Organisation der Gesellschaft und ihre repressiven Institutionen empfand er als Kontinuität zu bestimmten Elementen des Nationalsozialismus. Der gläserne Sarg, in dem die Heldengeschichten konserviert waren, bekam Risse. In dem Moment konstituierte sich eine innere Gewissheit, dass mit dem Anliegen der Emanzipation für ihn selbst etwas zu gewinnen sein müsse, dass mit ihr für ihn ganz persönlich etwas auf dem Spiel stehen würde. Kurz nach dem Mauerbau beging er mit dem gefälschten Ausweis eines US-Soldaten Republikflucht in Richtung Westberlin und begann dort ein Studium der Politikwissenschaft, um, wie er es nannte, »Vergangenheitsbewältigung zu betreiben«. Im SDS, genauer: in der Anschlag-Gruppe um Rudi Dutschke, Bernd Rabehl und Dieter Kunzelmann, fand er eine Organisation, die seinen Kampf gegen den Panzer der Existenz gesellschaftlich führen wollte. Vor der Politikwissenschaft hatte er sich kurz an einem Medizinstudium versucht, in dem er sich als Ostberliner Arbeiterkind angesichts der Übermacht von Bürgerkindern aber verloren fühlte. Auch im SDS schien er als Prolet am falschen Platz zu sein, doch anders als bei den Medizinern ließ er sich hier durch Adorniten-Jargon und Hahnenkämpfe nicht in die Position relegieren, die die bürgerliche Gesellschaft für Leute seiner Herkunft vorgesehen hat. In einem Interview beschrieb er diesen Aneignungsprozess von Wissen und Haltung als eigentliche Befreiung seines Lebens: »Dann fing ich auf Grund meines zunehmenden Selbstvertrauens auch an, mich mehr zu trauen, also Fragen zu stellen, ohne Angst zu haben, als der Blöde dazustehen.« Die Bewegung mit ihren Hoffnungen wurde Peter zum Identifikationspol und prägte seinen Habitus bis in die letzten Tage. Bei aller geistigen Beweglichkeit hatte man – sei es in der Art, wie er den Bügelverschluss von einer Bierflasche abschlug oder wie er nach Hippiemanier eine Handhöhle um den Joint legte – mit ihm irgendwie immer einen Mittdreißiger aus dem Jahr 1968 vor sich. Das betraf zuweilen auch bei manchen Diskussionen und Themen, von deren Sinn er nicht überzeugt war, seinen barschen, ablehnenden Ton, der noch aus den Männerrunden des SDS herüberzuhallen schien. Mit dem antiautoritären Aufbruch als universalistischer Befreiung hatte Peter etwas gefunden, an dem festzuhalten ihm existenziell schien. Dieser Aufbruch war für ihn so bedeutend, dass er Strömungen wie die Frauenbewegung bisweilen mit Ignoranz bis Ablehnung strafte.

Als sich auch im SDS die Überzeugung durchzusetzen begann, dass für eine kommunistische Revolution auch Arbeiter von Belang sein könnten, wurde der »authentischen« Stimme des Genossen »Ramba« immer mehr Gewicht beigemessen; eine Instrumentalisierung, der er sich strikt verweigerte, da er selbst am besten wusste, wie wenig Anlass zum Idealisieren die condition prolétarienne bietet. Die sich ausbreitende Arbeitertümelei unter Bürgerkindern, die plötzliche Kultivierung einer anbiedernd volksnahen Sprache, betrachtete er als eine Mischung aus »Masochismus und Hochmut« – ein Urteil, das ihn insbesondere in konsequente Gegnerschaft zu dem bald einsetzenden Gründungsfieber der stalino-mönchischen K-Gruppen versetzte und von ihm auf der Gründungsversammlung der KPD/AO durch einen Mehlbeutelanschlag auf den frisch gekürten Vorsitzenden Christian Semler auch praktisch unterstrichen wurde.

Mit der sich konstituierenden RAF, der Bewegung 2. Juni und anderer militanter Gruppen, unter denen er viele Freunde hatte, teilte er die Auffassung, dass der Kampf für eine bessere Gesellschaft eine persönlich verpflichtende, eben existenzielle Angelegenheit sei. Ihre Strategie, durch das voluntaristische Zündeln direkt das Feuer an die Lunte des Klassenwiderspruchs legen zu wollen, empfand er hingegen als Anmaßung. Er entschied sich für eine »indirekte Propaganda der Tat«, wie er es später nannte. In der Basisgruppe Wedding sollten in der Nähe zu den Arbeitern von Telefunken und AEG neue gemeinschaftliche Verkehrsformen als Antizipation der befreiten Gesellschaft ausprobiert werden: So richteten die Genossen in einem Ladenlokal einen Versammlungsraum mit Bibliothek ein und zeigten Präsenz, ohne die eigenen Anliegen zu verschleiern und hintenanzustellen. Und tatsächlich wurde der Ort ein Anziehungspunkt für jüngere Arbeiter, die dort trotz aller Medienhetze doch etwas zu erkennen vermochten, was auch sie anging. Peters Szenebekanntheit und Umtriebigkeit im Sponti-Milieu führten ab 1970 dazu, dass sich die Stasi dafür interessierte, den – wie es in seiner 140-seitigen Akte gut kadersozialistisch heißt – zum »Führungskreis der Antiautoritären« gehörenden Kritiker jeder Führung »politisch abzuschöpfen«, also durch ihn Informationen über die linksradikale Szene Westberlins sammeln zu lassen.

Der Anwerbeversuch ist ein Lehrstück in widerwärtiger manipulativer Praxis des »Roten Faschismus« (Otto Rühle), der Peter in all seiner Abscheu bestätigen musste. Die Staatssicherheit hatte die verlorene Kindheit als psychologische Achillesferse ausgemacht und einen alten Spanienkämpfer aufgetan, der Peter damals eine Art Vaterersatz gewesen war. Dieser sollte, vorgeblich persönlich motiviert, Kontakt zu Peter aufnehmen und auskundschaften, ob er – angesichts des Schicksals seines Vaters – bezüglich der eigenen Republikflucht ein »Schuldgefühl gegenüber der DDR hat und bereit ist, [dies] wieder gut zu machen«. Der Kontaktbeamte im Ministerium für Staatssicherheit notiert lakonisch die Früchte der Aktion: »Die KP ›Spanier‹ und seine Ehefrau wurden von der HP ›Rotgardist‹ [so Peters Chiffre] herzlich empfangen. Die HP war sehr bewegt von diesem Wiedersehen.« Vier Jahre versuchte die Stasi, »Rotgardist« über die Bewirtschaftung seines Kindheitstraumas zu Aussagen über seine politischen Zusammenhänge zu bewegen, doch Peter bediente alle Vorurteile, die einem stalinistischen Funktionär über Gammler und Anarchisten in den Sinn kommen konnten: Dezidierte Fragen beantwortete er ausweichend und zögerlich, Treffen verpasste er vermeintlich aus Nachlässigkeit. Frustriert wurde der mit enormem Aufwand betriebene Anwerbungsversuch »nach Kenntnis seiner Mentalität« 1974 abgebrochen.

Diese »Mentalität« ließ Peter als Organisator des Westberliner »Kronstadt-Kongresses« (1971), in Initiativen für das besetzte Georg-von-Rauch-Haus und als Mitherausgeber der Zeitschrift Die soziale Revolution ist keine Parteisache (1971–1972), einem ideellen Vorläufer von Kosmoprolet, aktiv werden. Neben der Beschäftigung mit der kommunistischen Dissidenz, vor allem mit dem Rätekommunismus, befasste er sich, inspiriert von der Marcuse’schen Randgruppentheorie sowie Ulrike Meinhofs Bambule und angetrieben von seinen eigenen Kindheitserfahrungen, mit emanzipatorischer Pädagogik und versuchte dabei seinen Erkenntnissen eine praktische Form zu geben: In der von ihm über Jahre mitbetriebenen »Werkschule« lebten Erwachsene unter anderem mit aus Heimen geflohenen Jugendlichen, um gleichberechtigt zusammen zu lernen, zu arbeiten und den Kopf etwas aus dem Dreck der subalternen Existenz herauszurecken.

Mit Anfang Siebzig stieß Peter dann zum Kosmoprolet-Kreis, fuhr zu Arbeitstreffen, referierte auf Veranstaltungen, genau wie die Jahrzehnte zuvor. Er lud uns zu Diskussionstreffen in seine selbst in Stand gesetzte Datsche in Mecklenburg-Vorpommern ein, bewirtete uns in seiner Parterrewohnung im Wedding mit selbstgebackenem Kuchen und bot angereisten Genossen aus dem Ausland Obdach. Es war immer spürbar, dass in dieser Warmherzigkeit noch einmal die Hoffnung auf eine Reaktivierung der umfassenden Sozialbeziehungen des antiautoritären Aufbruchs aufkeimte, unter deren Verschwinden Peter in den tristen 1990er und 2000er gelitten hatte. In Gesprächen am Kneipentisch erzählte er dann auch wieder öfter von der Leerstelle, die seine nie gekannten Eltern hinterlassen hatten, und von der Bitterkeit, die eine Entdeckung nach der Wende bei ihm auslöste: Entgegen der Annahme war seine Mutter nicht von der Gestapo ermordet worden, sondern hatte bis zu ihrem Tod Anfang der 1990er in Westdeutschland gelebt, nachdem sie wegen Trotzkismus-Verdachts aus der KPD ausgeschlossen worden war.

Als Peter dann während der langen Leidenszeit vor seinem Tod im Krankenhaus aus unserem Kreis Ulrike Heiders BuchVögeln ist schön. Die Sexrevolte von 1968 und was von ihr bleibt geschenkt bekam und es mit großer Lust las und vielleicht mit noch mehr Lust gut sichtbar auf seinem Nachttisch drapierte, konnte man an der Irritation des gut vierzig Jahre jüngeren Pflegepersonals ablesen, dass es sich bei 1968 – erst recht bei dem, um das es Peter ging – nie um eine Jugendrevolte oder einen Generationenkonflikt gehandelt hatte, sondern um ein umfassendes Lebensprojekt, gespeist aus der Glut der innersten Bedürfnisse. Peter war ein Mitleidender, der den schwachen und beschädigten Menschen zum Ausgangspunkt für sein Nachdenken über Gesellschaft machte. Die Revolution wäre in dieser Perspektive, in Anlehnung an ein Kafka-Wort, die Axt für das gefrorene Meer in uns, und politisch gewendet: die Axt, um Risse in den gläsernen Sarg zu schlagen.

Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft