TPTG, April 2009
Der Dezemberaufstand, dieser einschneidende proletarische Aufbruch, der die Möglichkeit eines totalen Bruchs mit der Klassengesellschaft und ihren Institutionen wieder in den Vordergrund gestellt hat, die Möglichkeit neuer gesellschaftlicher Verhältnisse, in denen wir unsere destruktive Kreativität ausgedrückt und gemeinschaftlich einen Schritt zur Überwindung hergebrachter Trennungen vollbracht haben, kam völlig unerwartet. Er kam in einer Periode, in der das Kapital und sein Staat einen immer intensiveren Krieg gegen unsere Klasse führten, einen Krieg, der heute, im Ausbruch der Krise, einen neuen Höhepunkt erfährt. Es ist daher erforderlich, zunächst kurz auf die besonderen Formen einzugehen, welche dieser Angriff des Kapitals und des Staates in den letzten Jahren in Griechenland angenommen hat. Wir hoffen dabei nicht allzu langweilig zu werden.
Im Herbst 2007 ist es der konservativen Partei Nea Dimokratia trotz massiven sozialen Widerstandes gegen ihre Politik 1 gelungen, erneut die Wahlen zu gewinnen, wenn auch mit knapper Mehrheit.
Die erste wichtige Front, die nach der Wiederwahl eröffnet wurde, war die Rentenreform. Anfang 2008 wurde ein neues Gesetz zur sozialen Rentenversicherung verabschiedet. Das Gesetz sieht unter anderem die Erhöhung des Rentenalters, die Abschaffung günstiger Regelungen für Frauen mit minderjährigen Kindern und die Senkung der Renten vor.
Die Rentenreform war die letzte Etappe in einer Reihe von Maßnahmen zur Restrukturierung des Verhältnisses zwischen Kapital und Arbeiterklasse in Griechenland. Zentrales Anliegen ist die Senkung der Reproduktionskosten und die Steigerung der Ausbeutungsrate einerseits sowie die Disziplinierung und Spaltung der Arbeiterklasse andererseits. Schon seit Anfang der neunziger Jahre wurden Gesetze zur Ausweitung prekärer Arbeitsverhältnisse auf dem öffentlichen Sektor durchgesetzt. Zur gleichen Zeit wurde die Privatisierung der DEKO (Öffentliche Unternehmen Gemeinschaftlichen Nutzens - Telekom, Stadtwerke usw.), bis dahin eine Hochburg fordistischer Arbeitsverhältnisse, vor allem durch ihre Börsennotierung vorangetrieben. Gleichzeitig gebrauchten die DEKO und der ganze öffentliche Sektor Outsourcing zur Kostensenkung und zum Brechen des fordistischen Regimes im erweiterten öffentlichen Sektor. So hat der griechische Staat seit 1990 die ständige Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse vorangetrieben, die Ausdehnung der Schwarzarbeit in Sektoren, wo das Modell der unbefristeten Vollbeschäftigung geherrscht hatte, die Kürzung von Zuschüssen und jeglicher Art von Leistungsbezügen, das Einfrieren oder auch die direkte Senkung der Löhne (der heutige gesetzliche Mindestlohn liegt bei 96 Prozent des Niveaus von 1984), die ständigen Reformen des Sozialversicherungswesens etc.
Die erste wichtige Front, die nach der Wiederwahl eröffnet wurde, war die Rentenreform.
Nach dem Zerfall des Ostblocks ergaben sich neue Möglichkeiten für das griechische Kapital. Vor allem die arbeitsintensiven Industrien Nordgriechenlands (z.B. der Textilsektor) verlagerten die Produktion in die nördlichen Nachbarländer, an erster Stelle nach Mazedonien und Bulgarien. Die vielen Wanderarbeiter aus den Balkanländern, vor allem aus Albanien, veränderten gleichzeitig in bedeutender Weise die Zusammensetzung der Arbeiterklasse in Griechenland. Die Politik des griechischen Staates gegenüber den Migranten hat eine Generation geschaffen, die in Griechenland aufgewachsen und zur Schule gegangen ist und dort weiterhin ohne politische Rechte lebt. Die Migrationspolitik läuft auf einen sehr schweren und langsamen Legalisierungsprozess hinaus, da für Kapital und Staat die Migranten nur als frei verfügbare und billige Arbeitskraft willkommen sind. Die so genannte Legalisierung ist in Wahrheit nichts weiter als die für Staat und Kapital notwendige Strategie einer Registrierung der Migranten, um sie zu kontrollieren und bezüglich des Arbeitslebens zu disziplinieren sowie um die Migrationsströme insgesamt zu kontrollieren.
Gleichzeitig wurde seit den Neunzigern eine massenhafte Ausweitung des Konsumkredits betrieben, eine Politik, die von manchen als privatisierter Keynesianismus bezeichnet worden ist. So haben viele Arbeiter in den vergangenen Jahren versucht, den Kaufkraftschwund durch direkte Bankkredite oder Kreditkarten zu kompensieren. Diese Politik zielte auf die Erhöhung des Arbeitszwangs durch den Druck der wachsenden Schulden und muss auch als Teil des Versuchs zur Überwindung der Ausbeutungs- und Disziplinierungskrise angesehen werden. Die seit einem Jahr andauernde so genannte Finanzkrise zeigt, dass diese internationale - und nicht bloß griechische - Strategie des privatisierten Keynesianismus gescheitert ist. Da die Kapitalisten infolge der Krise Massenentlassungen vornehmen, wird die Arbeitslosigkeit in Griechenland von 7,2 Prozent in 2008 auf 9,2 Prozent im Jahr 2009 steigen. Die Europäische Kommission schätzt, dass das Wachstum von 3,6 Prozent in 2008 auf 0,2 Prozent in 2009 sinken wird.
Wenn der privatisierte Keynesianismus die eine Seite der Strategie des Kapitals darstellt, so können die Überwachungs- und Polizeimaßnahmen des Sicherheitsstaates als die andere angesehen werden. Der Mord an Alexandros durch die Bullen war nur die Spitze des Eisbergs, was den Sicherheitsstaat angeht, der gestärkt nach den Olympischen Spielen von 2004 sich nicht scheut hart zur Sache zu gehen und kaltblütig zu schießen. Die sozialen Schichten, die am aktivsten an der Revolte teilgenommen haben, Schülerinnen, Studierende, Junkies, Migranten, Prekarisierte etc., sind die, welche diese Gewalt und Überwachung am stärksten erlebten und immer noch erleben. Andererseits gab es auch Teile der Arbeiterklasse, die schon direkter von der Finanzkrise betroffen waren, und die mit den Angriffen auf die Banken während der Revolte sympathisierten.
In Griechenland hat diese Situation zu einer Legitimationskrise des kapitalistischen Staates geführt, und die ständig auftretenden Korruptionsskandale wirkten hierbei verschärfend. Anfang 2008 erschütterte einer der bislang größten Skandale die Öffentlichkeit, weil die Krankenkassen die Beiträge in "strukturierten" Anleihen anlegten und dies zu großen Verlusten ihrer Reservefonds führte.
Der Aufstand
Die Revolte war also ein deutlicher Ausdruck der Legitimationskrise des kapitalistischen Staates, der proletarischen Wut über ein immer mehr entwertetes, überwachtes und entfremdetes Leben. Die Aufständischen haben sich auf den Straßen und in den Besetzungen durch Überwindung der getrennten Identitäten und Rollen getroffen, welche die kapitalistische Gesellschaft ihnen aufzwingt. Sie haben sich nicht als Arbeiterinnen, Studierende oder Migrantinnen zusammengefunden, sondern als Aufständische. Sie mögen nicht alle eine proletarische Sprache benutzt haben, aber sie haben in Wirklichkeit proletarische Kampfgemeinschaften gegen Staat und Kapital gebildet. Indem sie Bullen, Banken, Staatsgebäude und große Warenhäuser angriffen, haben sie sich in Wahrheit gegen das gewendet, was die Herrschaft des Geldes und des Staates symbolisiert, gegen die kapitalistischen Formen, welche die Ausbeutung und die Entfremdung der Arbeit, die Überwachung und die Spaltung der Proletarier durchsetzen. Wie man aus den während der Revolte zirkulierenden Parolen und Texten ersehen kann, haben alle über das Bedürfnis gesprochen, die Isolierung zu durchbrechen, das Bedürfnis nach einem wahren Leben gegen die Vorschriften des Kapitals, das Bedürfnis, die wirkliche menschliche Gemeinschaft wieder aufzubauen. Der spontane und unkontrollierbare Charakter des Aufstandes manifestiert sich genau im Ausbleiben jeder Art von politischen oder ökonomischen Forderungen, d.h. in der ausdrücklichen Negation von Politik und Syndikalismus. Das war auch die größte Stärke der Revolte: die Tatsache, dass das Auftauchen von Elementen der Repräsentation, Integration und Manipulation, das Auftreten von "Repräsentanten" der Aufständischen zur Verhandlung mit dem Staat, praktisch unmöglich war.
Die Revolte war also ein deutlicher Ausdruck der Legitimationskrise des kapitalistischen Staates, der proletarischen Wut über ein immer mehr entwertetes, überwachtes und entfremdetes Leben.
Die Organisationen der außerparlamentarischen Linken haben bei der Besetzung der juristischen Fakultät versucht, diese Rolle zu übernehmen, was sich jedoch als erfolglos erwies. Ihr Geschwätz über die Entwaffnung der Polizei, den Rücktritt der Regierung, zinsfreie Baukredite und andere Absurditäten zielte darauf ab, der Bewegung politische Forderungen aufzuzwingen.
Formen der Mobilisierung und die Organisation des Aufstandes
Die Dezembertage haben gezeigt, dass das Détournement der kapitalistischen Technologie zugunsten der Aufständischen möglich ist. Sofort nach dem Mord an Alexandros wurde hauptsächlich durch sms, Telefonanrufe und Indymedia eine massive Mobilisierung erreicht. In wenigen Stunden haben sich tausende, vorwiegend schon politisierte Menschen im Zentrum von Athen, rund um Exarcheia, versammelt. Handys und Indymedia waren auch während der folgenden Tage das Hauptkommunikationsmittel der Aufständischen. 2 Einen wichtigen Beitrag für die Dynamik des Kampfes leisteten auch die vielen Blogs der Besetzungen. Natürlich bestanden daneben auch die traditionellen Arten der Kommunikation fort, mit hunderten von Flugblättern und dutzenden von Plakaten in tausenden von Exemplaren auf den Straßen. Außerdem waren die konfrontativen Demos der Revolte durch viele neue und originelle Parolen gekennzeichnet.
Was die Straßenkämpfe betrifft, bildeten einfache Freundeskreise die Hauptform der Organisation. Sowohl die Leute aus der anarchistischen/antiautoritären Szene als auch die Schüler, Migranten und andere Proletarier gingen in Gruppen von Freunden auf die Straße und bewegten sich zur gegenseitigen Deckung möglichst kollektiv. Auf jeden Fall verschmolzen die Gruppen während der Riots und bildeten eine Masse, die angriff und zerstörte oder diejenigen unterstützte, die angriffen und zerstörten. Nach den Krawallen restituierten sich die Freundeskreise, um sich zu den Besetzungen, den Kiezen oder an einen ruhigen Ort zurückzuziehen. Über die Schülerinnen, die von den Schulen losgingen, um Polizeistationen zu attackieren, haben wir kein klares Bild. Sicher ist, dass sie die Schulgebäude zur Organisation der Aktionen nutzten, was die Regierung offenbar schnell begriff. Am Montag den 8. Dezember, gleich nach den ersten Angriffen gegen Polizeistationen, wurde beschlossen, die Schulen ab dem nächsten Tag zu schließen. Für den Dienstag (9. Dezember) hatten die Lehrergewerkschaften zu einem Proteststreik gegen die "Barbarei der Polizei" aufgerufen (was mit den Regierungsplänen nichts zu tun hatte). Die Schüler haben auf die Regierungsmaßnahme mit Schulbesetzungen geantwortet. Die Tatsache, dass schon am ersten Tag der Revolte drei Universitäten im Zentrum von Athen besetzt wurden - Polytechnikum, die juristische Fakultät und die Wirtschaftshochschule - hat die Wichtigkeit des Universitätsasyls 3 als Waffe und Organisationsfeld im Kampf gezeigt. Die offene Versammlung war die wichtigste Form der Organisation und der Entscheidungsfindung in den Besetzungen. Sie hat sich aber nicht immer als offen und effektiv erwiesen. Das Plenum in der besetzten Wirtschaftshochschule hat diverse Kommuniqués und Plakate produziert, einige wichtige Entscheidungen getroffen, wie den Betrieb einer Druckerei für die Bedürfnisse des Kampfes, und als Treffpunkt für die Planung von gewalttätigen Aktionen oder anderen Interventionen gedient. Die meisten Aktionen wurden jedoch durch spontane Initiativen organisiert, ohne Entschluss der Versammlung. In diesem Fall hat die Dynamik des Aufstandes gewisse traditionelle fixe Einstellungen der autonomen Szene überwunden, wie z.B. das Festhalten am Prinzip der Einstimmigkeit, das in Wirklichkeit der Vorherrschaft der organisierten Gruppen der Szene dient. Dies werden wir im Folgenden zeigen, wenn wir auf die Strukturen zu sprechen kommen, die der Aufstand "hinterlassen" hat.
Im Polytechnikum stellte sich die Situation aufgrund einer anderen Zusammensetzung der Besetzer ganz anders dar. In der Besetzung der ASOEE (Wirtschaftsuniversität) beteiligten sich hauptsächlich (aber nicht nur) Autonome und Studenten, im Polytechnikum waren es mehr Migranten und andere "ausgegrenzte" Proletarier. Da viele Migranten kein Griechisch sprachen, war die Versammlung de facto nicht für alle zugänglich. Auf der anderen Seite hat ein großer Teil der Besetzer des Polytechnikums, über die Ausschreitungen mit der Polizei und die Zerstörung von Waren und Geschäften hinaus, auch geplündert. Die Ideologen und Moralisten unter den Anarchisten waren demgegenüber negativ eingestellt, da sie diese Praxis als eine Ausnutzung der Situation für Eigeninteressen betrachteten. Sie erkannten in den Plünderungen nicht eine Form proletarischer Wiederaneignung des sozialen Reichtums durch die von ihm ausgeschlossenen Produzenten. In diesem Fall war das Plenum ein Instrument der Hegemonie des politischen Diskurses und der Praktiken der anarchistischen Gruppen, die sich an der Besetzung beteiligten. Es wurde sogar ein Beschluss gegen Plünderungen rund ums Polytechnikum gefasst, und einige gingen sogar soweit, diesen mit Gewalt durchzusetzen.
Die Menschen diskutierten in den Versammlungen über die Organisation von Aktionen, den Verlauf des Aufstandes und die sich in der Praxis der Revolte ergebenden Probleme.
Bei den Besetzungen außerhalb des Athener Stadtzentrums, zunächst jene in den Stadtteilen Ag. Dimitrios und Chalandri, ergab sich eine andere Sachlage. Da die Initiative meistens von Gruppen ergriffen wurde, die auf lokaler Ebene schon aktiv gewesen waren, hat sich die zentrale Auseinandersetzung um die Frage des eigentlichen Charakters dieser Versammlungen gedreht, ob sie Anwohner-Versammlungen oder proletarische Kampfgemeinschaften seien. In der Besetzung von Ag. Dimitrios wurde diese Fragestellung schnell durch die Praxis überwunden, in Chalandri jedoch gab es Besetzer, die auch während des Aufstandes aus der Sicht der "lokalen Gemeinde" sprachen, was natürlich auch die "lokalen Unternehmer" mit einschließt. Trotzdem haben beide Versammlungen im Endeffekt als Organisationsfeld einer Kampfgemeinschaft gewirkt. Wichtig war eine neue Praxis des Aufstandes, die darin bestand, auch Gebäude zu besetzen, die nicht durch das universitäre Asylrecht geschützt waren.
Bei allen Besetzungen, auch der des Polytechnikums, ist tatsächlich eine Kampfgemeinschaft entstanden, da die Besetzer über die Organisation von Riots, Aktionen und Interventionen hinaus kollektiv ihren aufständischen Alltag organisiert haben. Volksküchen (ASOEE, Polytechnikum) und Cafés (in allen Besetzungen) wurden durch Enteignungen aus Supermärkten oder den Beständen der Universität unterhalten. Zusätzlich wurden zwei Konzerte organisiert, eins in der besetzten juristischen Fakultät und eins im Polytechnikum sowie ein Volksfest in Ag. Dimitrios. Aus den Lautsprechern war, außer den Ankündigen und Texten, während des ganzen Tages auch Musik zu hören. Einige Genossen erinnern sich nostalgisch an die Riots um das Polytechnikum unter den Klängen des Bolero von Ravel.
Die Menschen diskutierten in den Versammlungen über die Organisation von Aktionen, den Verlauf des Aufstandes und die sich in der Praxis der Revolte ergebenden Probleme. Als aufschlussreich ist vielleicht das Phänomen zu erwähnen, dass in bestimmten Gruppen schon sehr früh die allgemeine Bereitschaft zum Fortbestehen der Besetzungen in Frage gestellt wurde. Die Gruppen, die einen wesentlichen Teil des permanenten Kerns der Besetzer bildeten, leiteten daraus das Recht ab, die weitere Richtung der Aktionen zu bestimmen. In einer ersten Einschätzung könnte man dieses Verhalten als Eigentumsmentalität charakterisieren. In einigen Fällen führten diese Positionen zum Abbruch der Besetzung (GSEE - Gewerkschaftsdachverband), in anderen aber nicht (ASOEE).
Die wichtigste "Struktur", die während des Aufstandes entstanden ist und danach weiter existierte, war die "offene Versammlung der Aufständischen zur Solidarität mit den Verfolgten der Revolte". Sie entstand während der letzten Veranstaltung in der besetzten GSEE und setzte sich zum Ziel, den Kampf gemeinsam fortzuführen, alle Inhaftierten freizubekommen und vor Anklagen zu bewahren. Dieser Ansatz eines weiterführenden Klassenkampfes befindet sich im Gegensatz zur üblichen Taktik der Linken, Ausschüsse von Solidaritätsprofis für "Dritte" zu bilden. Die Versammlung organisierte - neben anderen Aktionen und Interventionen - in der Silvesternacht eine Demonstration vor dem Gefängnis von Korydallos, darüber hinaus fand am 24. Januar eine zweite Demonstration im Zentrum von Athen statt, die von den Mördern in Uniform (Polizei) angegriffen wurde. Interessanterweise hat sich diese Versammlung zu einem Treffpunkt für fast alle proletarischen Elemente des Aufstandes entwickelt, mit hunderten von aktiven Teilnehmerinnen. Bedauernswerterweise ist aber Anfang Januar eine spezielle anarchistische Fraktion - nicht zufällig dieselbe, die bei der Besetzung des Polytechnikums hegemonial agierte - mit Forderungen nach der Aufteilung der Inhaftierten nach ihrer politischen Ideologie aufgetreten. Diese Fraktion hat unglaubliche Probleme bei der Produktion gemeinsamer politischer Ausdrucksformen verursacht, behielt für die Anarchisten die Rolle der politischen Avantgarde des Aufstandes vor und setzte das Prinzip der Einstimmigkeit und ein ganz zentralisiertes Organisationsmodell durch, um politisch zu herrschen. Leider war diese Gruppe in ihren Bestrebungen erfolgreich. Sie erreichte, dass in der darauf folgenden Zeit die Versammlung von der großen Mehrheit verlassen wurde. Mit zunehmendem zeitlichen Abstand zum Höhepunkt der Revolte nahmen immer weniger Menschen an den Aktionen teil, die alte politische Normalität stellte sich wieder her. Die Versammlung wurde immer mehr zu einer Sache der autonomen Szene, und diese hat die politische Logik der genannten Fraktion vollkommen akzeptiert. Die Solidaritätsversammlung verkam letztendlich zu einer normalen Versammlung dieser Szene mit den bekannten bestimmten Charakteristiken: keine gemeinsame Gestaltung politischer Ausdrucksformen außer bestimmten minimalen Prinzipien, die nicht zur Diskussion stehen, ein spezifisches zentralisiertes Organisationsmodel auf der Basis des Einstimmigkeitsprinzips, das auch nicht diskutiert werden darf, und Einheit in der Aktion.
Mit zunehmendem zeitlichen Abstand zum Höhepunkt der Revolte nahmen immer weniger Menschen an den Aktionen teil, die alte politische Normalität stellte sich wieder her.
Ebenso wichtig war die Versammlung, die zur Solidarität mit Konstantina Kuneva aufrief, einer außerordentlich kämpferischen Migrantin, die im Reinigungssektor gewerkschaftlich organisiert war. Sie wurde wegen ihres Kampfes gegen die prekären Arbeitsverhältnisse in der Branche von Schlägern der Bosse mit Schwefelsäure angegriffen. Kuneva war auch bei der Besetzung der GSEE dabei gewesen, da ihr Kampf sie in Konflikt zur gewerkschaftlichen Bürokratie gebracht hatte. Sie wurde nur einige Tage nach Beendung der GSEE-Besetzung attackiert, und die Mobilisierung zur Solidarität war dementsprechend einzigartig. So entstand die "Versammlung zur Solitarität mit Konstantina Kuneva" mit ungefähr 100 aktiv Beteiligten, die auf den Anschlag sofort mit einer zweitägigen Besetzung des zentralen Verwaltungsgebäudes von ISAP (Athener Verkehrsgesellschaft) am Omomoiaplatz antwortete, wo Konstantina für eine Leiharbeitsfirma namens OIKOMET gearbeitet hatte. Unmittelbar nach dem Anschlag organisierte sie auch eine Demonstration in Piräus, wo die von Spezialeinheiten der Polizei überwachte Niederlassung von OIKOMET angegriffen wurde. Seitdem hat die Versammlung noch eine Menge von Aktionen organisiert (eine zweite Demo in Piräus, Interventionen in Stationen von ISAP und METRO (U-Bahn), Blockierungen der Entwertungsmaschinen u.a.). Sie beschränkt sich nicht auf Aktivismus, sondern hat auch Flugblätter und Plakate produziert und plant die Veröffentlichung einer Broschüre über die prekären Arbeitsverhältnisse in der Reinigungsbranche. Innerhalb der Versammlung haben sich, wie dies auch bei der GSEE-Besetzung der Fall war, zwei Tendenzen herauskristallisiert: eine operaistische und syndikalismus-freundliche, die über "mittelalterliche Arbeitsverhältnisse" und "Sklavenhandel" spricht und indirekt die Forderung der Putzfrauen nach fester Anstellung unterstreicht, und eine proletarische, die die Frage der Kritik der Lohnarbeit allgemeiner stellt und das Thema der prekären Arbeitsverhältnisse als Spitze des kapitalistischen Angriffes auf die Gesamtheit des Proletariats begreift.
Die Kiezversammlungen laufen weiter, obwohl die Beteiligung natürlich nicht mehr so massiv ist wie in den Tagen des Aufstandes. In einigen Fällen hat sich das Hauptinteresse auf lokale Themen verschoben. Es finden aber auch Versuche einer horizontalen Vernetzung der Versammlungen statt, die schon Früchte für die Bewegung im Allgemeinen getragen haben. Es sind z.B. Besetzungen von Arbeitsämtern und Interventionen in ISAP und METRO für Kuneva (in Kollaboration mit der Solidaritätsversammlung) organisiert worden. Gegenwärtig läuft auch eine einmonatige Solidaritäts-Kampagne für die Inhaftierten. Außerdem haben sich Kollektive zur Durchführung neuer Besetzungen gebildet. Eine neue Besetzung ist schon in Patissionstraße entstanden, sehr nah an GSEE, ASOEE und Polytechnikum. Es beteiligen sich Menschen und Gruppen, die aktiv an der Besetzung der ASOEE mitgewirkt hatten. Interessant an dieser Struktur ist, dass sie eine offene Haltung gegenüber anderen Vorgängen, die während des Aufstandes entstanden sind, einzunehmen scheint. Diese Haltung deutet auch auf eine Überwindung der ideologischen Fixierungen hin, die diese Gruppen in der Vergangenheit gekennzeichnet haben. Außerdem sind viele Menschen involviert, die über keine politische Vergangenheit verfügen. Das Themenspektrum der ersten Veranstaltungen dieser Besetzung ist bezeichnend: die Frage nach der Solidarität mit den Inhaftierten, die neuen Repressionsgesetze (Vermummungsverbot, "Obrigkeitsbeleidigung" etc.), Solidarität mit Kuneva, die Praxis der Besetzungen im Rahmen der von der Revolte freigesetzten sozialen Dynamik etc.
Ein anderer Aspekt des Kampfes für die Wiederaneignung des öffentlichen Raumes ist die Gestaltung von Parks im Zentrum von Athen, in Räumen, die als Parkplätze benutzt werden oder zu solchen umgebaut werden sollen. Im Rahmen einer dieser Interventionen kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei und Attacken gegen Polizeistationen. Diese Aktionen sind Kritik an der Stadtplanung und Ausdruck des Kampfes gegen die neuen Einhegungen (enclosures), die durch die Revolte wieder belebt wurden.
Abschließend ist die Tatsache anzumerken, dass sich nach dem Aufstand neue Gruppen von Aktivisten gebildet haben, die Anschläge gegen staatliche Gebäude, Banken usw. organisieren. Sie sind nicht als Teil des getrennten bewaffneten Kampfes zu betrachten, da sie auf dem Markt verfügbare Mittel benutzen, ohne immer die Lorbeeren der Avantgarde für sich zu beanspruchen (obwohl sie meistens nicht frei von einer gewissen voluntaristischen Arroganz sind).
Der abgegrenzte "bewaffnete Kampf"
Der Dezemberaufstand wurde von den Aufständischen selbst, aber auch von den globalen Bossen zu Recht als das Präludium eines angesichts der Fortsetzung und Verschärfung der Krise bevorstehenden proletarischen Aufbruchs wahrgenommen. Dennoch ist das Bedürfnis nach einer politischen Vermittlung der proletarischen Wut, selbst das nach einer bewaffneten Vermittlung, keineswegs etwas, was aus der Notwendigkeit des Kampfes selbst entsteht. Vielmehr wird es dem Kampf erst von außen und nachträglich aufgesetzt.
Der erste Anschlag erfolgte am frühen Vormittag des 23. Dezember. Im Athener Stadtteil Goudi wurde auf einen Bus der Bereitschaftspolizei (MAT) vor deren Zentralgebäude Schüsse abgefeuert. Der Angriff erfolgte aus dem benachbarten Campus des Polytechnikums und zwar vom Dach eines von Anarchisten und Antiautoritären besetzten kleinen Gebäudes aus. Mehrere Tage später, am frühen Vormittag des 5. Januar, fielen Schüsse auf drei Bullen der MAT, die in Exarcheia vor dem Gebäude des Kulturministeriums Wache standen. Einer von ihnen wurde "am Oberschenkel und an der Brust schwer verletzt" ins Krankenhaus eingeliefert. Die Verantwortung für beide Anschläge übernahm die Gruppe "Revolutionärer Kampf" am 15. Januar mit einer schriftlichen Erklärung. Zum ersten Mal war diese Gruppe im Jahr 2003 in Erscheinung getreten, ein Jahr nach den zahlreichen Verhaftungen von Mitgliedern der Gruppe "17. November", die im Hinblick auf die politischen Inhalte der Sozialistischen Partei (PASOK) eigentlich recht nahe stand. Seitdem nimmt die Gruppe "Revolutionärer Kampf" den ersten Rang unter den bewaffneten Gruppen für sich in Anspruch, da sie die gewalttätigsten Anschläge verübt. Zur Rechtfertigung der Aktionen wurden vonseiten der Gruppe hauptsächlich drei Argumente bemüht: Erstens, "die Kugeln sind mit Kugeln zu erwidern"; zweitens, der bewaffnete Kampf stelle den Gipfel des Dezembersaufstandes dar; drittens, hinsichtlich eines breiteren sozialen Aufbruchs sei der bewaffnete Kampf notwendig, weshalb auch weitere Genossen dazu aufgefordert werden, denselben Weg zu gehen.
Das eigentliche Angriffsziel der "bewaffneten Avantgarde" und ihres scheinbaren Bedürfnisses nach "höherstufigen" Aktionen sind die proletarischen Praktiken selbst.
Vom proletarischen Standpunkt her lässt sich über den Aufstand Folgendes sagen: Selbst wenn der bewaffnete Angriff auf die gerüsteten Wächter der Ware am 5. Januar vor dem Kulturministerium nicht von den Organen des Spektakels (d.h. von Staatsbeamten) geplant und durchgeführt worden sein sollte, so war die Tatsache, dass wir alle, einen Monat nach dem Ausbruch des Aufstandes und dem Zustandekommen einer Vielzahl kollektiver Verneinungen, gezwungen wurden, angeblich "vorbildlichen Aktionen" zuzuschauen, schon für sich eine Niederlage. Es bedeutete, dass wir nicht mehr in der Lage waren, die Mittel unseres Handelns selbst zu bestimmen und dass wir gezwungen wurden Stellung zu beziehen zu einer Aktion, die unserer Praxis fremd war. Wenn die "bewaffnete Avantgarde" nun die Polizei zum Angriffsziel erklärt, dann will sie nicht zugeben, dass sie in Wahrheit der Bewegung nachhinkt: niemals und nirgendwo hat es eine Avantgarde je geschafft, sei es auch nur für einige Tage, die Ausfahrt der Polizeiwagen aus den Kasernen zu blockieren oder die Polizeiführung dazu zu zwingen den Bullen anzuordnen, ihre Polizeiausweise in der Stadt nicht bei sich zu tragen, aus Angst, sie könnten eventuell identifiziert werden. Das eigentliche Angriffsziel der "bewaffneten Avantgarde" und ihres scheinbaren Bedürfnisses nach "höherstufigen" Aktionen sind die proletarischen Praktiken selbst. Es sind diese Praktiken einer soziale und territoriale Grenzen überschreitenden Gewalt sowie einer kollektiven Illegalität während des Aufstandes, die nun automatisch als "minderwertig" und "ungenügend" erscheinen. Die "bewaffnete Avantgarde" weiß genau, dass diese Praktiken ihre eigentlichen Gegner innerhalb der Bewegung sind und dass, solange diese darin präsent und stark sind, kein Mann und keine Frau das Verlangen spüren wird, irgendwelche bewaffneten Vorkämpfer zu unterstützen. Denn es werden ganz einfach die Leute selbst für ihre Sache handeln und nicht die bewaffneten Spezialisten der Gewaltvermittlung. Auf dieser Grundlage findet der bewaffnete Kampf im Staat seinen naturgemäßen Mitkämpfer gegen das Proletariat: beide werden von der proletarischen Praxis bedroht, deren Weiterführung ihre eigene Existenz in Gefahr bringt.
Wir behaupten, dass eine der vorläufigen Errungenschaften des Dezemberaufstandes die verallgemeinerte Insubordination war. Diese hat im Kern der Gesellschaft nachhaltige Spuren hinterlassen, denn sie bewirkte eine Verschiebung im Gleichgewicht der Kräfte und einen Riss im Sicherheitsstaat. Dies war nur möglich, weil sich die Aufständischen gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse gewendet haben, denen sie tagtäglich unterworfen sind; keine bewaffnete Avantgarde kann so etwas schaffen. Auch am Zeitpunkt ist das eigentliche Interesse der "Avantgardisten" zu erkennen, den sie für die "Eskalation" gewählt haben: das relative Nachlassen des aufständischen Dranges während der Feiertage war ein günstiger Moment für das Füllen der Lücke durch den "bewaffneten Kampf", der sich zum "Gegenpol" stilisieren wollte, nämlich zum gleichwertigen Gesprächspartner des Staates. Der Anschlag des 5. Januar ist somit ein Ausdruck des Rückzugs der Bewegung, der als willkommene Gelegenheit zur Wiederherstellung der verlorenen Ehre des bewaffneten Kampfes ergriffen und von den mannigfaltigen Anhängern des bewaffneten Kampfes als Höhepunkt des Aufstandes dargestellt wurde. Leider ist diese Strategie bei nicht wenigen Aufständischen auf Zustimmung gestoßen, und zwar bei den Leuten, die die Gewalt als wichtigste Dimension des Aufstandes angesehen und das Nachlassen der gewaltsamen Aktionen gespürt haben.
Im Vergleich zu Ausmaß und Intensität all der explosiven Ereignisse des Dezembers war die Reaktion des Staates eher schwach. Im Grunde genommen waren die krampfhaften Gegenangriffe des Staates eher ein Ausdruck der Angst der Bosse vor dem Proletariat, und die berühmte Nulltoleranz war für lange Zeit und gemessen am Ausmaß des Aufstandes zur bloßen Toleranz gegenüber unseren Aktionen heruntergekommen. Der Gegenangriff des Staates, der Angriff der alten Welt, der gleichzeitig mit dem Aufstand und gegen diesen angesetzt hatte, spitzte sich in der Folge jedoch zu und produzierte nach dem Attentat vor dem Kulturministerium die ersten greifbaren Resultate wie z.B. Verhaftungen, Hausdurchsuchungen und Polizeiterror, das brutale Niederschlagen der Solidaritätsdemo für die Inhaftierten vom 24. Januar u.a. Die Logik, die der Staat durchzusetzen versuchte, folgt einem alten Rezept: der "Terrorismus" "muss" die Endstation eines Zustands des verallgemeinerten Aufruhrs sein. Der Staat versuchte die Verletzung des bewaffneten Polizisten als Kompensation des Mordes am jungen Alexandros (sowie der versuchten Mordanschläge am Schüler im Athener Stadtteil Peristeri am 17. Dezember und an Kuneva am 23. Dezember) darzustellen und sich zunächst dadurch auf der ideologischen Ebene zu revanchieren. Bis zu einem gewissen Grad hat er dies erreicht. Er hat das Blut eines seiner Angestellten dazu benutzt, nicht nur um die Legitimation der Polizei wiederherzustellen und ihre "menschliche" Seite in den Vordergrund zu stellen, sondern darüber hinaus den Sicherheitsstaat als Ganzes wieder neu in Kraft zu setzen. Die Zeit nach den Weihnachtsferien barg die Möglichkeit eines Wiederentfachens der Bewegung, doch der Anschlag vor dem Kulturministerium hat diese Chance deutlich unterminiert: Er bot dem Staat die Gelegenheit, den Aufstand als eine Angelegenheit, die nur das "Ghetto" von Exarcheia etwas angehe, darzustellen - eine spektakuläre Vendetta zwischen Bullen und "Anarchisten", ein groteskes und tausendmal gespieltes Theaterstück für zwei Akteure. Im Nachhinein stellen wir fest, dass die Praxis der "revolutionären Avantgarde" die Möglichkeit des Neuentfachens deutlich untergraben hat und uns allen zu verstehen gab, welche Rolle sie wirklich spielen wird, falls die Ereignisse vom Dezember in der Zukunft wiederholt oder sogar noch weiter verallgemeinert werden sollten.
Als fast einen Monat später, am frühen Vormittag des 3. Februar, die zum ersten Mal in Erscheinung tretende Gruppe "Revolutionäre Sekte" gegen die Polizeistation des Athener Stadtteils Korydallos eine Handgranate (die schließlich nicht explodierte) warf und mehrere Schüsse abfeuerte, war das ein weiterer Rückschlag für die Revolte, und das Unvermögen der Bewegung sich wiederzubeleben kam noch bedrückender zum Vorschein. Der Satz "diejenigen, die sich nicht bewaffnen, sterben", mit dem die nicht mehr als eine Seite lange Erklärung der "Sekte" anfängt und der einem älteren Manifest der RAF entnommen ist, symbolisiert nicht nur die arrogante Abgrenzung der "Bewaffneten" von den Aufständischen, sondern auch die heimtückische Abgrenzung der Aufständischen vom Rest der Gesellschaft.
Der Aufstand, die Arbeiter und die "Basisgewerkschaften"
Soweit wir wissen waren die Arbeiter, die sich am Aufstand beteiligt haben, in ihrer Mehrheit jungen Alters und in Bereichen tätig, wo prekäre und "flexible" Arbeitsverhältnisse herrschen. Eine Ausnahme bilden hier jedoch die Lehrer. In dieser spezifischen "Klassenzusammensetzung" ist vielleicht der Grund dafür zu suchen, dass es während des Aufstandes zu keinen Besetzungen von Betrieben und Streiks gekommen ist. In Griechenland werden die Streiks von den Gewerkschaften ausgerufen und bleiben in der großen Mehrzahl der Fälle unter ihrer Kontrolle. In den letzten 20 Jahren wurde hauptsächlich im öffentlichen Sektor gestreikt (Bildungswesen, öffentliche Unternehmen (DEKO), Kulturministerium usw.). In den Kämpfen der letzten Zeit wurde deutlich, dass es sehr schwierig ist, autonome Organisationsformen hervorzubringen und einen Diskurs jenseits von gewerkschaftlichen Forderungen zu führen. In den letzten Jahren ist es hauptsächlich dort zu Besetzungen von Arbeitsstätten gekommen, wo Fabriken der Textilindustrie dichtgemacht haben oder verlagert wurden. Es handelte sich also eher um Formen der "defensiven" Organisierung. Sowohl für die Streiks als auch für die Fabrikbesetzungen der letzten Jahre gilt, dass sie auch in dieser Hinsicht als Niederlagen zu betrachten sind, denn sie konnten die Bosse und den Staat zu keinen bestimmten Kompromissen zwingen. Es muss andererseits berücksichtigt werden, dass der griechische Kapitalismus durch eine niedrige Kapitalkonzentration gekennzeichnet ist: es gibt viele kleine Unternehmen, in denen weniger als zehn Personen arbeiten. Aus diesen Gründen wurden die Betriebe von den Arbeiterinnen, die sich am Aufstand beteiligten, nicht als Orte proletarischer Durchsetzungskraft mit einem gewissen Mobilisierungspotential wahrgenommen (denn sie waren es tatsächlich nicht). Es war vermutlich sogar gerade dieser Mangel, der viele junge Proletarier auf die Straße trieb.
Sowohl für die Streiks als auch für die Fabrikbesetzungen der letzten Jahre gilt, dass sie auch in dieser Hinsicht als Niederlagen zu betrachten sind, denn sie konnten die Bosse und den Staat zu keinen bestimmten Kompromissen zwingen.
Dennoch wurde vielen aufständischen Proletariern klar, dass der Aufstand notwendigerweise bald nachlassen würde, wenn er es nicht schaffen sollte, sich auf die Arbeitsstätten auszuweiten. Aus diesem Bedürfnis resultierte die Besetzung des Gebäudes der Arbeiterunion (GSEE) sowie das Verlangen, der Propaganda der Medien, die Arbeiter nähmen nicht am Aufstand teil und würden durch ihn sogar beschädigt, entgegenzutreten. Zudem war die Besetzung auch eine hervorragende Möglichkeit, Kritik an dem GSEE auszuüben, der vergangene Kämpfe stets untergraben hat, was auch während dieses Aufstandes deutlich wurde. Die Initiative zur Besetzung ergriffen Leute aus der Basisgewerkschaft der Kurierfahrer, hauptsächlich Aktivisten der antiautoritären Szene. Dennoch wurde bei der Besetzung des GSEE deutlich, dass das Konzept des Syndikalismus, sei es auch das der Basisgewerkschaften, dem Aufstand gegenüber fremd war. Schon in der vorbereitenden Versammlung hoben sich zwei Linien klar voneinander ab: eine gewerkschaftlich-operaistische auf der einen, eine proletarische auf der anderen Seite. Für die Wortführer der ersten Richtung sollte die Besetzung einen "Arbeiter"-Charakter annehmen, welchen sie gegenüber dem angeblich Jugendbewegungs- oder "metropolitischen" Charakter (in ihrer Terminologie) in Stellung brachten, den der Aufstand angeblich bislang hatte. Im Gegensatz dazu hat die proletarische Strömung darauf bestanden, dass die Besetzung des GSEE ein weiteres wesentliches Moment des Aufstandes sei: ein Ort, an dem Schülerinnen, Studierende, Arbeitslose, Arbeiterinnen und Migrantinnen als aufständische Proletarier in Aufhebung ihrer Identitätsspaltung aufeinander treffen. In der Tat verfolgte die gewerkschaftlich-operaistische Fraktion einen sehr konkreten Plan für die Besetzung: dieser zielte nicht auf die Verbreitung des Aufstandes ab, sondern auf die propagandistische Verwertung der Besetzung zur Stärkung ihrer eigenen Gewerkschaft. Aus diesem Grund hatten sie auch kein Interesse daran, die Besetzung als Ausgangspunkt für wirklich proletarische Aktionen zu nutzen. Vielmehr wollten sie schon am zweiten Tag die Besetzung beenden, nachdem sie sie zum Anlass hatten nehmen wollen, um in der Bildungsaktionsdemo des 18. Dezember einen "selbstbewachten Arbeiterblock unter Aufstandsbedingungen" zu bilden. Diese Fraktion, die nur einen Teil der Gewerkschaftsbasis hinter sich hatte, versuchte mit anderen Worten, den Aufstand in den Dienst ihres Verbandes zu stellen. Ihr einziges Ziel war dessen Stärkung, während sie die am Aufstand beteiligten Arbeiter als einen abgegrenzten, abzuhebenden Teil verstanden haben. Aus diesem Grund haben sie sich am zweiten Abend von der Besetzung zurückgezogen, nachdem sie aber schon großen Schaden angerichtet hatten: Die nun herrschende Stimmung verhinderte schließlich, dass das bestehende Potential der Bewegung im Hinblick auf mögliche Interventionen an den Arbeitsplätzen und die proletarische Selbstorganisation tatsächlich zur Geltung kommen konnte. Durch die Nutzung der Besetzung als eines Treffpunkts und eines Ortes der freien proletarischen Gestaltung und Tätigkeit hätte diese Selbstorganisation vorangetrieben werden können.
Was die übrigen "unabhängigen" linken Gewerkschaften angeht, sieht es jedoch noch schlimmer aus. In der einzigen Versammlung, welche die linken Bürokraten am Mittwoch den 10. Dezember im Gebäude der juristischen Fakultät organisiert haben, sprachen sie vom Bedürfnis, dem Aufstand eine "politische Perspektive" geben zu wollen, d.h. ihn somit in die Bahnen der politischen und gewerkschaftlichen Vermittlung zu lenken und sein radikales Potential abzutöten. Damit haben sie sich gegen das wesentlichste Merkmal des Aufstandes gewendet, nämlich die Abwesenheit von Forderungen, und haben eine Liste von ebenso grotesken wie gefährlichen Appellen aufgestellt: die "Mörderregierung" solle zurücktreten, zinsfreie Wohnungskredite seien für einkommensschwache Familien zur Verfügung zu stellen, die Polizei solle entwaffnet werden usw. Der linke Flügel der Gewerkschaftsbürokratie hat alle Vorschläge von unabhängigen Aktivisten zu militanten Aktionen, wie z.B. der Besetzung eines Fernsehsenders, abgewiesen und sich dagegen auf große Worte und leere Deklarationen beschränkt: von außerplanmäßigen Generalversammlungen und Propaganda in den Betrieben zur Vorbereitung eines Generalstreiks nach erst zwei Wochen! Natürlich wurde nichts davon realisiert.
Dagegen haben am 10. Januar einige im Medienbereich arbeitende Aufständische das Gebäude der geschlossenen Berufsgenossenschaft der Journalisten (ESIEA) besetzt. Im Rahmen dieser Besetzung wurden zwei praktische Aspekte in den Vordergrund gestellt: zum einen die Frage nach den Arbeitsverhältnissen und der Selbstorganisation der Beschäftigten im Medienbereich und zum anderen die Frage nach der Kontrolle der Berichterstattung bzw. der subversiven Anti-Berichterstattung. Es hat sich im Folgenden eine Arbeitnehmerversammlung herausgebildet, die seitdem sehr aktiv ist. Sie agiert in Medienunternehmen, in denen in der letzten Zeit Entlassungen stattfanden, während sie gleichzeitig über Demonstrationen und andere subversive Ereignisse in Opposition zur Propaganda der bürgerlichen Medien berichtet. Ein Teil dieser in der Arbeiterinnenversammlung aktiven Leute hatte sich im Zuge der Studentenbewegung von 2007 gegen die Reform des Hochschulgesetzes zusammengefunden, während andere in der Vergangenheit die Gründung einer einheitlichen Gewerkschaft in der Medienbranche angestrebt haben. Heute sind nämlich die im Medienbereich tätigen Leute in 15 Berufsverbänden zersplittert (Photoreporter, Journalisten, Kameraleute, Logistiker usw.). Unter den Journalisten ist die ESIEA der größte Verband. Ihr gehören die Journalisten der großen Athener Zeitungen an, von denen viele gleichzeitig auch Arbeitgeber sind, da sie Unternehmen für die Produktion von Fernsehsendungen besitzen oder Zeitungen und Druckschriften verlegen. Hinzu kommt noch, dass ein großer Teil der Leute im Medienbereich mit befristeten Verträgen oder als Freelancer arbeiten und gewerkschaftlich nicht vertreten werden. Die Idee für einen Gewerkschaftsverband in der Medienbranche, dem alle Lohnabhängigen in der Branche unabhängig von Fachrichtung und Arbeitsstatus angehören sollen, ist weiterhin unter vielen der an der Versammlung Beteiligten verbreitet. Bis heute hatte dieses Vorhaben jedoch keine Priorität.
Was kommt nun nach dem Dezember?
Nach dem Mord an einem Bullen während eines Banküberfalls im Athener Stadtteil Nikaia wurden in der bürgerlichen Presse Funktionäre der griechischen Polizei (ELAS) zitiert, welche die drastische Steigerung der Banküberfälle in den Monaten Januar und Februar (ungefähr 40 pro Monat ) sowie ihren voraussichtlichen weiteren Anstieg auf folgende Ursachen zurückführen: zum einen habe "die Freilassung einer großen Anzahl von Inhaftierten zur Entlastung der Gefängnisse" (eine Folge des Aufruhrs in den Gefängnissen einen Monat vor dem Dezemberaufstand) kriminelle Elemente freigesetzt, zum anderen habe der "Tumult des Dezembers sowie die mangelnde Kooperationsbereitschaft der Banken" die Aggression geschürt. 4 Für den Staat ist der Dezemberaufstand konkreter Ausdruck der Bedrohung der Warenverhältnisse und hängt direkt mit einer allgemeineren gesellschaftlichen Destabilisierung im Zuge der Krise zusammen.
Seit jenen Tagen hat nun die Aufwertung des juristischen Arsenals des Staates begonnen; den Anfang macht die Revision des gesetzlichen Rahmens, der die Sicherheitsmaßnahmen der Banken regelt. Diese Neuregelung ist laut Angabe eines hochgestellten Funktionärs des Justizministeriums "hauptsächlich zur Bekämpfung der Vermummten (Kapuzenträger) und weniger der Bankräuber" gedacht. Erstes Resultat der Revision, die unter dem Vorwand, "das Ansehen der Polizei (...) beschützen" eingebracht wurde, ist die Wiedereinführung des Strafdelikts der "Beleidigung der Obrigkeit". Es handelt sich dabei um eine gesetzliche Anordnung, die zur Zeit der Diktatur von Metaxas (1936-1941) eingeführt wurde und alle "Obrigkeiten" ohne Ausnahme umfasst: wer diese öffentlich "beleidigt, wird amtlich verfolgt und hat mit einer Haftstrafe von bis zu zwei Jahren zu rechnen". Dieses Gesetz wurde 1993 von der Regierung der PASOK abgeschafft. Auf der Ebene der Gesetzgebung stehen derzeit die Wiedereinführung des Delikts der Obrigkeitsbeleidigung sowie das bevorstehende Verbot der "Verfälschung der Gesichtsmerkmale" während Demonstrationen an der Spitze des repressiven Gegenangriffs des Staates. Beide Gesetzesentwürfe sind von vielen zu Recht als ein Angriff gegen die anarchistische/antiautoritäre Szene und ihre Praktiken begriffen worden. Es wäre aber ein Fehler anzunehmen, die "Anarchisten" seien das ausschließliche Angriffsziel, während doch Tausende von Vermummten die Straßen Griechenlands überschwemmt hatten. Es wäre noch fataler anzunehmen, wie es bereits verbreitet ist, die Anarchisten gerieten nun deshalb in die Schusslinie, "denn gäbe es diese nicht, dann wäre ja nichts passiert". In Fortführung der neoliberalen Krisenverwaltung versucht der Staat die Aufständischen durch die Verurteilung der Vermummung zu dämonisieren und sie nicht nur vom Rest der Arbeiterklasse abzugrenzen, sondern auch untereinander in "Vermummte" und "Nichtvermummte" zu spalten. Gleichzeitig hat der Staat spezielle Polizeieinheiten als schnelle Eingreiftruppen geschaffen, die Patrouillen in den Straßen vervielfacht und exemplarisch große Polizeieinsätze in den Vierteln durchgeführt, wo viele der ausgegrenzten und am Aufstand beteiligten Migrantinnen leben.
Der Dezemberaufstand hat die breite Einführung der "Maßnahmen zur Bekämpfung der Krise" vorläufig verzögert: Massenentlassungen, Aussetzung von Arbeitsverträgen, Zwangsurlaub, die Einführung der drei- oder viertägigen Arbeitswoche mit entsprechender Lohnsenkung etc. stehen aus Angst vor den Reaktionen noch aus. Von November 2008 bis Ende Februar 2009 wurden 12.000 Entlassungen registriert, während Funktionäre der Gewerkschaften einschätzen, dass die Gesamtzahl der Entlassungen im Jahr 2009 bis auf 100.000 steigen könnte. Obwohl die Entlassungswelle noch andauert, wurde bis zum jetzigen Zeitpunkt noch kein Fall bekannt, in dem sich die Entlassenen an andere Entlassene oder Teile der übrigen Arbeiterklasse gewendet hätten, um die Frage des Umgangs mit der Krise gemeinsam anzugehen. Im Gegensatz dazu stehen vielmehr Direktverhandlungen vereinzelter betroffener Belegschaften mit dem Arbeitsministerium auf der Tagesordnung. Außerdem scheint sich keine der im Dezember so verbreiteten Formen militanter Auseinandersetzung durchsetzen zu können, abgesehen von der Besetzung öffentlicher Gebäude. Nur die Art und Weise wie sich jüngst die Hilfsarbeiter der Feuerwehr gegen die Bullen stellten, deutet vielleicht auf etwas anderes hin. Offensichtlich war die gedrückte Stimmung und das Fehlen jeglichen Schwungs bei der Streikdemonstration des 2. April (der erste Generalstreik nach Dezember, an dem die Beteiligung allerdings hoch war) ein Anzeichen dafür, dass die Gewerkschaftsbürokratie es zumindest in diesem Fall geschafft hat, die Arbeiterklasse vom Geist der Revolte fernzuhalten. Es haben dennoch während der Demo zwei kämpferische Aktionen stattgefunden, die von den Streikenden mitgetragen wurden: zum einen griff eine Gruppe von Demonstranten die Büroräume des Arbeitgeberverbandes der Reinigungs-Unternehmen an; zum anderen hielten der Verein der Putzfrauen und Aktivistinnen, die sich an der Solidaritätsbewegung für Konstantina Kuneva beteiligen, eine Protestkundgebung vor den Büros der Athener S-Bahn (ISAP) ab.
- 1. Im Herbst 2006 hat ein sechs Wochen langer Streik der Grundschullehrer dem seit 2004 herrschenden Arbeitsfrieden ein Ende bereitet. Der Streik folgte der Studentenbewegung vom Mai/Juni 2006 gegen die Regierungspläne zur Bildungsreform und entfachte sich aus ihrer Dynamik. Anfang 2007 waren die Studenten wieder auf der Straße und es brach eine neue Besetzungswelle in den Universitäten des ganzen Landes aus. Für mehr Informationen siehe unseren Artikel " The Permanent Crisis in Education : On Some Recent Struggles " http://libcom.org/news/the-permanent-crisis-education-on-some-recent-st…
- 2. Es ist interessant, dass am Höhepunkt der Revolte Indymedia überfordert und praktisch dysfunktional war. In dieser Hinsicht war das dezentralisiertere Modell der Besetzungsblogs auch eine Antwort auf diese sich in der Praxis ergebende Schwierigkeit.
- 3. Aufgrund der Niederschlagung des Aufstandes vom 17. November 1973 in der Athener Polytechnikum, bei dem ein Panzer der Militärdiktatur das Eingangstor niederwalzte und mehrere Menschen getötet wurden, gibt es das sogenannte Universitätsasyl. Dieses untersagt der Polizei, das Universitätsgelände ohne ausdrücklichen und einstimmig gefassten Beschlusses eines von der Universitätshierarchie gebildeten Komitees zu betreten.
- 4. K. Onisenko, "Steile Steigerung der Überfälle seit Anfang 2009", Kathimerini , 6. März 2009.
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